Die Vision
er will dich damit nicht beleidigen –, er sagt, daß Klerikerwitze die meisten adligen Gäste langweilen, selbst wenn sie nicht in Latein sind.« Als zwei Laienbrüder eintraten, brach er ab.
»Der Herrin, Eurer Gemahlin, geht es gut, Mylord Chronist. Sie sitzt mit offenem Haar im Bett, stillt den Kleinen, ißt Süßigkeiten und beklagt sich. So sind die Frauen.« Gregory sah die entsetzte Miene des Mannes, und ein eigenartiges, ironisches Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Beklagt sich? Worüber denn?«
»Sie sagt, das Federbett ist nicht weich genug, und die Magd, die wir aus dem Dorf geholt haben, nicht flink genug, und in dem Bad, das wir ihr gerichtet haben, ist kein Rosenwasser. Sie sagt, es kommt sie schwer an, ohne Rosenwasser zu baden.«
»Bruder, das hört sich nicht nach deiner Frau an; das klingt wie meine.«
»Einen Augenblick«, gebot ihm Gregory Schweigen. »Ich möchte mehr hören.«
»Oh, wie konnten wir nur daran zweifeln, daß sie keine ganz große Dame ist? Sie sagt, das Leinenhemd, das wir ihr geschickt haben, ist zu grob und kratzt ihr die Haut auf, und sie will neue Windeln und einen Reisekorb für den Kleinen haben. Sie sagt, sie möchte ihren Kirchgang machen und ausgesegnet werden, und wir sollen ein Fest richten, sonst würde sie niemals glauben, daß unser Orden Ansehen genießt.«
»Oh, sie ist eine Tyrannin, eine Hexe«, murmelte der zweite Laienbruder. »Wer heiratet, ist ein Narr, ein Honigtopf hat ihn dem Teufel höchstpersönlich in die Hände gespielt.« Er schüttelte den geschorenen Kopf. »Und die schlimmsten Frauen«, fuhr er verbittert fort, »sind die von edlem Geblüt.«
»Nicht auszudenken, was sie zu mir gesagt hat.« Der erste wandte sich hilfesuchend an seinen Gefährten. »Ungezogen bin ich, hat sie behauptet! Man stelle sich vor! Gott bewahre mich vor den Schlichen und Tücken der Frauen!« Der erste Bruder bekreuzigte sich.
»Ich danke Euch für die Kunde. Schickt der Herrin, meiner Gemahlin, dieses Gericht von unserer Tafel und versichert sie meiner Gunst«, sagte Gregory in dem hochfahrenden, frostigen Ton eines großen Herrn. Als sie gegangen waren, lachte er. »Um Margaret brauche ich mir keine Sorgen zu machen, die hat ihren Spaß.«
»Spaß? Ich würde sagen, sie ist in Windeseile ein verwöhntes Balg geworden. Du wirst sie wieder schlagen müssen, Bruder.«
»Wofür? Hast du nicht selbst gesagt, daß sich deine Frau genauso aufführt? Wieviele Monate, glaubst du, hat Margaret sie wohl beobachtet? Du unterschätzt sie, Hugo. Sie ist eine hervorragende Schauspielerin, und Spaß macht es ihr auch. Sie überzeugt sie, daß sie eine große Dame ist, weil sie sich genau so benimmt, wie man es von ihr erwartet. Ich glaube, das Gericht wird ihr zusagen. Es sieht aus, als wäre es ganz aus Gemüse.«
Hoch oben in der Ecke erblickte ich einen Nebelwirbel. »Gut gemacht«, verkündete die Weiße Dame. »Ja – besser hätte ich das auch nicht hinbekommen.« Der Wirbel wirkte ausgesprochen selbstgefällig. »Eine richtige Dame erkennt man an ihren Wutausbrüchen.« In der Geisterstimme schwang ein Anflug von fröhlicher Überheblichkeit mit. Sie musterte das elegante, kleine Zimmer, den reich bestellten Tisch, die kleine Wiege und das hohe, weiche Federbett. Das Gästehaus für hochgestellte Damen besaß vor der Haustür sogar einen Garten mit hoher Mauer, damit selbst eine Gräfin oder Königin frische Luft schöpfen konnte, ohne die Brüder mit ihren farbenprächtigen Gewändern oder blitzenden Augen in Versuchung zu führen.
»Was sagt sie jetzt, Margaret?« fragte Mutter Hilde. Die saß auf einem prachtvoll geschnitzten, kleinen Stuhl und zählte glücklich die Schätze ihrer Pilgertasche durch. Mutter Hilde ist als Andenkensammlerin wirklich unübertroffen. Man könnte fast auf die Idee kommen, daß ihr ein Andenken lieber ist als ein Besuch der Stätte selbst. Sie behauptet, wenn man irgendwo nur gewesen ist, dann hat man diesen Ort lediglich im Kopf; wenn man aber ein Andenken hat, dann weiß jedermann, daß man dort gewesen ist und zollt einem Achtung. Natürlich könnte man sich auch eine Lügengeschichte über einen alten Stein oder ein Fingerknöchelchen ausdenken und damit die gleiche Wirkung erzielen – und man sollte meinen, nach all den Jahren, die sie nun schon mit Bruder Malachi zusammenlebt, sollte sie wissen, wie man das macht. Aber nein, sie sagt, Fälschungen helfen dem Gedächtnis nicht so auf die Sprünge, und sie muß sich doch
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