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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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eine Bank an den Kopf geworfen. Aber was ist nur in dich gefahren, daß du hinter Urgan hergewatet bist, wo du dich vor Vater so fürchtest? Ein Wunder, daß er dich nicht umgebracht hat.«
    »Ich habe bloß gesehen, daß er da ganz voller Blut war und tobte und schrie, und da hat er mir leidgetan. Das ist alles. Ich konnte nicht anders. Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Sonst hätte ich es wohl kaum getan.«
    »Er hat dir leidgetan? Ein Pferd? Zuweilen bist du eigenartig. Du kannst dir dein Mitgefühl sparen – ein Schlachtroß ist darauf abgerichtet, Menschen zu töten; ich muß dich also ernstlich bitten, einen Bogen um sie zu machen. Er hätte dir den Schädel wie eine Eierschale zertrümmern können, und was würde dann aus mir, Margaret? Und Urgan ist in der ganzen Grafschaft für seinen Jähzorn berüchtigt. Vater hat ihn günstig eingekauft, nachdem er einen Menschen umgebracht hatte, aber seinen obersten Stallknecht hat er schon verloren. Vater ist einfach zu halsstarrig, sonst würde er ihn abschaffen. Er ist überzeugt, daß er diesen Stammbaum größer und den Jähzorn herauszüchten kann. Ja, hast du denn Urgans Augen nicht gesehen?«
    »Woher weiß dein Vater, wie ich reiten gelernt habe? Nicht einmal dir habe ich erzählt, daß ich immer auf den Kornsäcken gesessen habe, wenn Vater das Pferd zur Mühle getrieben hat – will sagen, wenn er ein Pferd hatte.« Gregory zuckte zusammen. Mir war klar, dergleichen sollte ich lieber nicht verlauten lassen, zumindest nicht in seines Vaters Haus.
    »Mit Pferden kennt Vater sich wirklich aus. Er täuscht sich nie.« Er blickte mich nachdenklich an. »Dann hast du also Angst vor ihnen, wie? Vor Pferden, meine ich. Das hat Vater auch gewußt. Er hat mir das schon gesagt, als er dich zum ersten Mal hat reiten sehen. Wie bist du im Sommer nur auf euer Landgut gekommen?«
    »Hast du nicht den kleinen, weißen Maulesel im Stall gesehen? Der gehört mir. Den hat mir Master Kendall besorgt.«
    »Und jetzt wird er nicht mehr gebraucht und frißt uns die Haare vom Kopf, bis der Streit um die Ländereien endlich beigelegt ist. Vater hält ihn für reine Geldverschwendung und will ihn verkaufen.«
    »Das wird er nicht tun, nein. Er wird doch meinen Maulesel oder mein Haus nicht verkaufen? Das darfst du nicht zulassen, Gregory. Das steht alles dir zu, nicht ihm. Hast du vergessen, wie glücklich wir dort gewesen sind, und das können wir auch wieder werden.«
    »Vater ist das Familienoberhaupt, und ich schulde ihm Gehorsam – aber meinetwegen, wenn dieser Haufen von Rechtsanwälten Erfolg hat und uns noch genug bleibt, daß wir es halten können. Aber eines steht fest, in dieser Familie kannst du dich nicht auf einem Maulesel blicken lassen. Das würde Vater verärgern, und wenn er sich ärgert, ist er zu allem fähig.«
    »Aber – aber –«
    »Kein Aber«, sagte er zärtlich. »Im Augenblick hält er große Stücke auf dich, und das darfst du dir nicht verscherzen. Nun mach nicht so ein Gesicht. Du bist auf deine Weise auch tapfer. Du sitzt nur zu Pferd wie ein Angsthase. Aber das bekommen wir schon hin.« Seine Stimme klang warm und stark. Jeder hätte ihm geglaubt, daß die ganze Sache ein Kinderspiel war.
    Ich schämte mich zwar in Grund und Boden, aber schon am nächsten Tag saß ich hoch oben auf einem wahren Gebirge, einem Untier, das den Dreck hinter seinen Hufen aufspritzen ließ, während es seine Runden am Ende einer langen Longe drehte.
    »Sitz gerade, Margaret! Und hör auf, dich festzuhalten!« Gregory hielt die Longe in der linken Hand, mit der rechten knallte er jedes Mal mit der langen Peitsche, wenn das gräßliche Geschöpf ins Stocken geriet. Und natürlich konnte ich nicht übersehen, wie stattlich und gut gebaut er war und wie stark seine Hände wirkten, wenn er die Longe ablaufen ließ, und da mich das ablenkte, wäre mich dieser Gedanken beinahe mehr als einmal teuer zu stehen gekommen.
    »Und was hast du jetzt vor?« fragte er mich, als wir vom Stall ins Haus gingen.
    »Mich eine Woche lang nicht vom Fleck zu rühren, bis mir nichts mehr weh tut«, gab ich zurück und wischte mir den Dreck vom Ärmel. Die Bitterkeit in meiner Stimme brachte ihn zum Lachen.
    »Du bist eine harte Nuß, Margaret. Aber glaube ja nicht, daß du so leicht davonkommst. Ob es dir nun paßt oder nicht, du wirst noch wie eine de Vilers reiten. Ich denke nicht im Traum daran, Hugo gewinnen zu lassen.«
    »Was? Ihr habt gewettet?« Ich war wütend. Für Gregory

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