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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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– Teufel oder etwas, das scheußlich aussieht.«
    »Kröten auch?« fragte Cecily.
    »Ja; Kröten sind häßlich, aus denen machen Hexen Gift. Aber Fingerknöchelchen von Gehängten sind vermutlich noch schlimmer.« Allmählich belebten sich meine Geister.
    »Ach«, sagte Cecily enttäuscht. »Schade, daß wir keine Fingerknöchelchen kriegen konnten.«
    »Ja, die wären auch nicht so kleber, kleber, klebrig gewesen«, sagte Alison.
    »Was soll das heißen?« fragte ich argwöhnisch.
    »Na ja, mein Rock ist doch so klebrig geworden, als ich die ganzen Kröten für Cecily getragen habe.«
    »Mama, fahren wir wirklich nach London? In unser richtiges Haus?« kam Cecily rasch dazwischen, um das Thema zu wechseln.
    »Natürlich«, antwortete ich.
    »Aber es ist doch alles anders; Papa ist tot, und die bösen Männer können uns da finden.«
    »Mir fällt schon etwas ein, Ehrenwort.«
    Da wir uns auf Französisch unterhielten, hatte die dunkle Dame alles mitbekommen, obschon sie tat, als hörte sie nicht zu. Jetzt wandte sie den Kopf, blickte uns dahinten im Wagen an und fragte Cecily: »He, du kleine rothaarige Wilde, was hast du mit den Kröten gemacht?« Cecily schwieg und sah verlegen aus.
    »Die haben wir Lady Petronilla ins Bett gelegt«, zwitscherte Alison, »weil sie so gemein ist. Wir können sie nicht ausstehen, Cecily und ich.«
    »Du, du da, Cecilia«, sagte die dunkle Dame und blickte Cecily unter halb geschlossenen Lidern an, und dann lächelte sie ein bedächtiges, belustigtes, kleines Lächeln. »Wieviele?«
    »Och, eine ganze Menge – wir mußten zweimal gehen. Unten im Schlamm im Burggraben gibt es ganz viele. Jetzt kriegt sie Warzen, und die hat sie auch verdient.«
    »Ich sage es ja, Fra Antonio, meine Flüche wirken immer«, sagte die dunkle Dame zu dem Dominikaner gewandt, der direkt neben ihrem Wagen ritt. Dann redete sie ein paar Worte in ihrer eigenen Sprache mit ihm. Der Dominikaner lachte in sich hinein. Die Damen, die während des ganzen Wortwechsels geschwiegen hatten, taten es ihm nach. Dann sagte sie zu Cecily:
    »Du gefällst mir, kleine Wilde, darum schenke ich euch etwas.« Die Mädchen spitzten die Ohren.
    »Süßigkeiten?« fragte Alison erwartungsvoll.
    »Nein, das Leben. Ich wollte euch, noch ehe wir die Abtei von Wymondley erreichten, heimlich die Kehle durchschneiden lassen. Und eure Leichen hätten wir noch vor Verlassen dieses Waldes aus dem Wagen geworfen. Oder Euch vergiften – nein, zu langsam.« Sie blickte sinnend in das volle goldene und rotbraune Blattwerk, das sich zu beiden Seiten hoch über dem ausgefahrenen, engen Weg wölbte. »Ja, Kehledurchschneiden ist besser. Bei den vielen Räubern hier…«
    »So ein blödes Geschenk, ich wollte Süßigkeiten?« murrte Alison. Dann wandte sich die dunkle Dame mir zu und lächelte ihr liebliches, unschuldiges Kinderlächeln.
    »Dumm von Euch, mir zu erzählen, daß Ihr den einzigen Erben der de Vilers tragt«, sagte sie.
    »Aber ich habe doch nicht –« sagte ich und unterdrückte mein wachsendes Entsetzen.
    »Haltet Ihr mich für dumm?« fragte sie und reckte das Kinn. »Ihr bringt das Geld in die Familie; der Bruder stirbt, der ältere Bruder erbt. Wenn Ihr sterbt, könnt Ihr nicht fortgehen und Euch mit jemand anders vermählen, der dann Anspruch auf das Geld hat. Wenn er Euch am Leben läßt, steckt er Euch ins Kloster. Doch wenn Ihr mit einem Erben schwanger seid, täte er gut daran, Euch beide umzubringen, sonst verliert er das Geld. Also brennt Ihr durch. Ist doch ganz einfach. Über Erbschaften weiß ich gut Bescheid. Die haben mich zur Marquesa gemacht. Die und Eisenhut.«
    Beim Allmächtigen. In der Fremde herrschen andere Gebräuche als hierzulande.
    »Ihr seid entsetzt? Glaubt ja nicht, daß ich sie alle eigenhändig vergiftet habe. Nein – das haben sie gegenseitig getan – abgesehen von ein, zwei –, danach fiel mir alles in den Schoß.« Sie hob die Handteller und blickte nach oben, als wollte sie eine himmlische Gabe entgegennehmen. Ihre schweren, edelsteinbesetzten Ohrringe schaukelten und glitzerten.
    »Freilich«, sagte sie, wobei sie mich wieder anblickte, denn nicht einmal der Schatten, den das Spritzleder des Wagens warf, konnte meine weit und entsetzt aufgerissenen Augen verbergen, »selbst mein armer, kleiner Mann hat nicht mehr als ein Jahr durchgehalten – gerade lange genug, daß er meinem Schatz hier seinen Namen geben konnte. Wie jung er doch war, erst siebzehn Lenze, und so ungebärdig und

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