Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
nachdenklich den Kopf zur Seite. »Ja und doch wieder nein. Er starb, weil er sich gegen Calvin auflehnte, dem er Gehorsam geschworen hatte, weil er in ihm den Weltverbesserer sah. Am Ende jedoch war Lazarus’ Vater ein Skeptiker, ein einsamer Mann, der niemanden außer seinem Schatten hinter sich hatte.«
»Aber was tat sein Sohn?«
»Er hatte sich kurz zuvor mit dem Vater überworfen. Hielt ihm vor, er habe mit seinem Übertritt zum Calvinismus die wahre Menschlichkeit, das Gesetz der Toleranz verraten. Lazarus war schroff, ungestüm, jugendlich aufbrausend. Er litt unter der evangelischen Tyrannei des Asketen Calvin, der alles verpönte, was heiter und sinnlich ist, dessen Kirchen so kahl und stumm sind wie sein Herz es war. Darum verließ Lazarus Genf. Er konnte nicht zurück, um seinem Vater zu helfen. Es wäre sein eigener Tod gewesen. Ich kann ihm darum keine Vorwürfe machen, aber er selbst tut es.«
»Liebte er denn seinen Vater so sehr?« fragte Columba erstaunt.
Birckmann nickte kurz, dann fuhr er fort. »Danach schloß Lazarus sich verschiedenen Heeren an, kämpfte im Mittelmeer gegen die Barbaresken, in Frankreich auf beiden Seiten, in den Niederlanden. Es war ihm gleichgültig, wofür er stritt, er suchte einen raschen Tod. Aber das Schicksal tat ihm diesen Gefallen nicht. Immer wieder ging er als tapferer Mann aus den Schlachten hervor. Es war so, als mache seine Todesverachtung ihn unverwundbar. Egal welche Kriegspartei, sie alle nahmen ihn gerne in ihre Dienste. Er aber suchte sich stets die gefährlichste Aufgabe. Man munkelt, daß er sogar – obwohl in spanischer Tracht – ein Spitzel Oraniens war, als er hier in Köln erschien.«
»Er war wirklich ein Söldner?« fragte ungläubig Columba.
»Ja, am Ende sogar Fähnleinführer und Kommandant«, bestätigte Birckmann. »Und doch, so versicherte mir Cassander, im Grunde seines Herzens immer ein Philosoph und Menschenfreund. Ein Melancholiker eben, den nichts von seiner Schwermut kurieren kann.«
»Nichts?«
»Nichts, was ein Mediziner ihm geben kann«, sagte Birckmann und wandte sich ab.
2
S achtes Klopfen, ein Stöhnen als Antwort. Die Kornmeisterin hob mit der linken Hand entschlossen den Türriegel und trat in die düstere Zelle der Magistra. In der rechten Hand trug sie ein verlockend duftendes Weckbrot, das Anna ihr gegeben hatte. Das Geschenk eines frommen Bewunderers für Rebecca. Die Kornmeisterin war entschlossen, ihre Meisterin zum Verzehr des Leckerbissens zu überreden. Essen war eine vortreffliche Medizin, erst recht in Zeiten der Trübsal.
Ein einziges Kerzenflämmchen flackerte unter der Madonnenstatue und warf tanzende Schatten auf die weißen Wände. Die Fenster des Raumes hatte Rebecca mit Brettern vernageln lassen. Ein sinnloser Schutz gegen das Eindringen nächtlicher Geister. Die Kornmeisterin räusperte sich.
»Meisterin, warum quälst du dich so? Laß mich mehr Licht holen. In dieser Finsternis ist es kein Wunder, daß du Teufel siehst.«
Rebecca richtete sich auf ihrem Lager auf. »Laß nur, liebe Schwester, fast bin ich soweit, daß ich die Dämonen liebe, denn sie halten mich in Demut. Vorbei die Zeiten, als ich mich hochmütig für eine connubium spirituale – eine Braut Christi – hielt. Gott straft meine Hoffahrt.«
»Rebecca, verzeih, aber mir gefällt das alles nicht. Die Wandlung deiner Visionen kam zu rasch. Früher waren sie so rein und gut, dann plötzlich begannst du von Teufeln zu träumen. Ich las in einigen Legendenbüchern und stieß dabei auf Seltsames. Hast du nicht gestern einen Korb mit Gebeinen und schwarzen Hostien aus Rübenscheiben unter deinem Bett gefunden, von denen du glaubst, du hättest sie ausgespien?«
Rebecca seufzte. »Woher weißt du das?«
»Anna erzählt es herum, wie alle anderen Erscheinungen auch. Sogar auf der Straße. Und das macht mich stutzig. Sie ist nicht die Frau, die an deinem Ruhme weben möchte. Hast du jemals von Magdalena vom Kreuze gehört?«
Rebecca setzte sich unter Mühen ganz auf. Sie war so abgemagert, daß ihr die Knochen spitz unter dem Büßerhemd hervortraten. »Du meinst die Klarissin von Cordoba, die Kaiser Karl als Heilige bezeichnete?«
Die Kornmeisterin nickte grimmig und setzte sich zu Rebecca aufs Bett. »Eben die. Er ließ sie sogar den Segen über Taufhemd und Haube seines Sohnes Philipp sprechen und den Säugling in ihr Ordenshabit einwickeln. Groß war ihr Ruhm. Bis man einen Korb mit Gebeinen und Hostien unter ihrem Bett entdeckte.
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