Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
immer keine Regung. Ihn fror. Was, wenn sie diese Kälte bis in das eheliche Schlafgemach beibehalten würde? Mit einem Ruck ließ er den Kopf vorschnellen, Columba wich im letzten Moment aus, und der Junker küßte schmatzend ins Nichts.
Van Geldern gab rasch ein Zeichen. Trommeln und Flötenspiel setzten ein, endlich verteilten sich die Zuschauer im Saal und um die Tische an der Fensterseite. Die Verlobten blieben stehen, um Glückwünsche und Geschenke in Empfang zu nehmen.
Mit hochmütiger Miene kam zuerst Juliana auf Columba zu. »So hast du endlich bekommen, was dir zusteht, liebe Schwester. Ich wünsche dir alles Glück, das du verdienst. Ehen werden, wie du weißt, im Himmel geschlossen. Wie immer bewundere ich den weisen Ratschluß des Herrn.«
Columba antwortete nicht, Juliana wandte sich dem Bräutigam zu und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. Er machte einen verlegenen Kratzfuß und fragte sich, ob gelegentliches Lautenspiel wirklich so ärgerlich gewesen wäre oder so verstörend, wie es die Kälte seiner Braut zweifelsohne war.
Mertgin knickste nun vor Columba und tupfte sich mit einem Tüchlein ein paar Tränen von den vertrockneten Wangen.
»Meine liebe Herrin, was für ein glücklicher Tag. Ich sah genau, wie prall gefüllt das Seidentuch war. Solche Großzügigkeit, und das allein für die Armen.« Sie senkte die Stimme. »Ich sah, daß Ihr gezögert habt, aber fürchtet Euch nicht, alles in allem ist er doch ein hochherziger und auf seine Weise frommer Mann.«
»Das Geld in dem Tuch stammt von meinem Vater«, sagte Columba kalt, »es ist leicht mit fremder Leuts Dukaten großzügig zu sein.«
Die Angestellten traten einzeln vor und überreichten kleine Gaben, silbern ziselierte Fingerhüte, Scheren und anderen Hausrat. Vornehme Freunde, darunter Doktor Birckmann, der leicht betrübt aussah, machten großzügige Geldgeschenke. Zuletzt stand Lazarus vor Columba. Mit Erstaunen bemerkte er, daß das Mädchen errötete.
»Wieder ein Zornesanfall? Keine Angst, schon morgen wirst du meinen Anblick nicht mehr ertragen müssen«, sagte er leise. Nicht leise genug. Doktor Birckmann hatte den vertraulichen Ton sehr wohl vernommen. Schützend stellte er sich zwischen die Redenden und den Bräutigam.
»Was seid Ihr doch für ein Glückskerl, obwohl ich jedem meine kleine Columba mißgönne. Dieses Temperament, keine Minute werdet Ihr künftig Langeweile haben«, schmeichelte er mit lauter Stimme van Ypern, klopfte ihm auf die Schulter und drängte ihn dabei zum Fenster hin.
Columba schlug verlegen die Augen nieder.
Lazarus lächelte zum ersten Mal an diesem Abend. »Man könnte wirklich meinen, daß du ein Sinnbild der Sittsamkeit bist. Hat die Verlobung dich gezähmt?«
Das Mädchen sah ihn an, und Lazarus erschrak. Wut hatte er erwartet, Wehmut überraschte ihn. »Was ist dir? Sag es mir.«
»Zu spät«, murmelte Columba tonlos und schaute an ihm vorbei.
Lazarus beugte sich tiefer zu ihr hinab. »Ich trage kein Geschenk für dich bei mir. Mir schien, daß der Freiherr dich damit ohnehin überhäuft. Aber warte bis morgen, dann wirst du eine Überraschung erleben, die vielleicht deine Trübsal vertreibt. Nimm sie als Beweis meiner Freundschaft, als Beweis des Mannesmuts, den du bei mir so sehr vermißt hast.«
Columba starrte ihn an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
»Bemühe dich nicht«, kam Lazarus ihr zuvor, »du schuldest mir keinen Dank. Und um ehrlich zu sein, waren mir deine Dankesbezeigungen bislang immer ein wenig zu heftig.«
Er verneigte sich, bevor Columba eine Antwort einfiel, und verließ mit langen, festen Schritten den Saal.
Das Mädchen kämpfte gegen Tränen an. Nicht die Verlobung hatte sie an diesem Abend zur Frau gemacht. Es war dieser Abschied, der sie mit beiden Seiten der Liebe gleichzeitig vertraut machte: der verlangenden Sehnsucht und des verzehrenden Schmerzes.
Doktor Birckmann trat an sie heran. Nachdenklich betrachtete er Columba. »Mädchen, so traurig?«
Columba biß sich auf die Lippen. »Es ist nichts. Nichts, nur dieser Lazarus ist ein seltsam trauriger Mann, er dauert mich.«
Birckmann hob die Brauen und nickte. »Das ist wahr, eine betrübliche Geschichte um seinen Vater. Ich kannte ihn kaum, aber Cassander versicherte mir, bevor er starb, daß er ein aufrechter Humanist und Menschenfreund war. Eine Schande, daß er auf dem Scheiterhaufen starb.«
Columba atmete hastig. »Auf dem Scheiterhaufen? War er ein Ketzer?«
Birckmann legte
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