Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
schreckensbleiche Gesicht Columbas.
»O Gott, was habe ich getan«, stieß sie hervor und wollte neben dem Dürren auf den Boden sinken.
»Laß ihn, er ist nicht tot«, sagte Lazarus barsch, packte Columba beim Ellbogen und zog sie in den Schatten einer Hauswand. Einen kurzen Moment wartete er ab, dann rannte er, Columba am Arm, los. Sie liefen auf eine Gruppe Narren zu, die sich schwankend und aufgekratzt dem Unglücksort näherten.
»Was ist geschehen?« schrie einer mit der viel zu lauten Stimme des maßlos Betrunkenen.
Lazarus drückte Columbas unbedecktes Gesicht an seine Schulter. »Ein Unglück, wir laufen nach Hilfe.«
»Haben wohl Schützenfest gespielt! Ausgerechnet der Greve, dessen Haus voller Waffen steckt. Darum wohl der Knall ...« Wie auf ein Stichwort kam die zweite Explosion.
Diesmal tatsächlich aus der Waffenkammer, die im Keller zur Straße hin lag. Mit Wucht zerschlug sie die Außenmauer, wirbelte Steine und Balken wie Federn empor. Federn, die krachend zu Boden schlugen und den Spitzel unter sich begruben. Lazarus sah es aus den Augenwinkeln, und obwohl erleichtert über das Ende des einzigen Zeugen, sorgte er dafür, daß Columba nichts davon sah.
Er riß sie mit sich fort. Endlich erreichten sie sein Pferd. In einer Nische der Stadtmauer verborgen, warteten Luthger und Tringin. Mit einem Schrei der Überraschung stürzte diese auf Columba zu, riß sich die Maske vom Gesicht und schloß das bleiche Mädchen in die Arme. Columba weinte an der Schulter der Freundin, die zärtlich ihr Haar strich und sie sanft ausschalt. »Wie kannst du mir nur immer wieder nachlaufen, du dummes Geschöpf.«
Lazarus half Luthger auf das Pferd, hielt es am Zügel und betrachtete die beiden Frauen eine Weile schweigend. »Kommt jetzt«, sagte er endlich, »wir müssen von hier verschwinden, bevor alle Turm- und Mauerwächter das Viertel abriegeln. Noch bietet die allgemeine Verwirrung uns Schutz.«
Columba löste sich von Tringin und warf den Kopf nach hinten. »Lazarus hat recht, laßt uns verschwinden.«
»Aber wohin? Wo sind wir sicher?« fragte Tringin.
»In der Kirche Sankt Alban«, erwiderte Lazarus knapp.
»In eine Kirche willst du uns führen? Ausgerechnet dahin?« fragte Luthger und machte Anstalten vom Pferd zu springen.
»Keine Angst, alter Mann, nur für wenige Augenblicke mußt du den Anblick von Hochaltar und Sanctissimus ertragen. Von der Kirche führt ein Weg in die Hauskapelle van Gelderns ...«
Luthger verschluckte sich an einem Fluch.
»In das Haus meines Vaters willst du sie bringen?« fragte Columba entsetzt.
Lazarus ging, das Pferd am Zügel, voran. Tringin lief neben dem Pferd her und versuchte ihren Vater zu beruhigen. Sie bogen in eine kleine Gasse ein, die zu schmal und finster für die herannahenden Helfer war.
»Du kannst die beiden unmöglich in unserem Haus verstecken«, rief Columba atemlos.
»Das habe ich nicht vor, du Närrin. Ich muß sie nur unbemerkt in den Hof deines Vaters und zu dem Reisewagen bringen. Dort warten bereits zwei leere Kisten, in denen ich sie sicher aus Köln hinausbringen kann. Der Weg durch die Kirche ist unauffälliger als der durch den Torweg.«
Columba schwieg. »Was ist mit dem Spitzel«, fragte sie schließlich schüchtern, »er hat dich erkannt.«
Lazarus zögerte einen Moment. »Er wird schweigen.«
»Du kennst ihn nicht, er ist heimtückisch, verschlagen.«
»Er war es.«
»Ich habe ihn also doch getötet?«
»Nein, nicht du. Es war die Hand des Herrn, wenn du so willst. Sie warf einen brennenden Balken auf ihn herab.«
Columba schrie kurz auf. »Hör mir zu, Columba«, sagte Lazarus mit großem Ernst, »diesmal bin ich es, die dir danken muß. Du hast mein Leben gerettet. Warum hast du das getan?«
Columba senkte den Blick. »Ich ...«, begann sie leise und brach ab.
»War es wegen Tringin?« fragte Lazarus ebenso leise.
Columba schüttelte stumm den Kopf. »Ich tat es für dich.« Der Satz kam wie eine Befreiung. Es war, als hätte sie endlich den Schlüssel zu den tiefsten Geheimnissen ihrer Seele gefunden, und sie empfand die köstlichste Erleichterung dabei, es gesagt zu haben. Sie hob die Augen und versuchte im Dunkel der Gasse Lazarus’ Gesicht zu erkennen. Sie sah nur die Umrisse, vielleicht gab ihr das den Mut.
»Ich liebe dich, Lazarus.«
Die Antwort war Schweigen. Lazarus gab dem Zügel einen Ruck, das Pferd trabte wieder an. Er führte es mit raschen Schritten aus der Gasse. Columba taumelte neben ihm her.
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