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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Zuviel Wein! Eindeutig zuviel Wein. Columba hatte ihrer Magd immer wieder zugetrunken, und Mertgin hatte nicht ein einziges Mal nein gesagt. Vortrefflich. Columba zog unter ihrem Bett ihren groben Rock, ihr einfachstes Mieder und den geliebten schwarzen Umhang hervor. Rasch zog sie alles an, dann schlich sie in die Fensternische und setzte sich auf die Truhe, die dort stand. Sie war gewappnet. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, aufmerksam spähte sie in den Hof hinab. Ein mit Fässern und Kisten vollbeladener Reisewagen wartete dort. Noch vor Morgengrauen sollten sechs Pferde angespannt werden, der angemietete Kutscher schlief bei ihnen im Stall. Die Reise sollte ausnahmsweise über Land gehen.
    Wo aber war der Herr des Unternehmens – Lazarus? Sie hatte ihn noch einmal auf dem Korridor vor dem Kontor des Vaters gesehen, als er letzte Anweisungen und gute Wünsche für die Fahrt entgegennahm. Danach hatte er sich die Treppe hinauf in seine Dachkammer begeben. Sie war sich sicher, daß er sie noch nicht wieder verlassen hatte. Es ging auf Mitternacht. Hin und wieder hallten die Schreie ausgelassener Trinkbrüder und Narren von der Straße her über den Hof. Man feierte den kleinen Fastenabend, den Donnerstag vor dem Höhepunkt des Karnevals am Sonntag. Karneval, das war Lazarus’ Stichwort gewesen. Sie wußte, daß er heute nacht handeln würde.
    Im Geiste lief Columba noch einmal den Weg bis zum Haus des Greven, das am vornehmen Holzmarkt lag, und in dessen Keller Tringin und Luthger saßen. Sie mußte diesen Weg auch in tiefster Dunkelheit finden können. Am sichersten war die Strecke am Rheinufer entlang im Schatten der Stadtmauer, wo die Wege teilweise gepflastert waren. Eine Fackel verbot sich, und sich Lazarus offen anzuschließen, wagte sie nicht. Sein Ziel aber, da hatte sie keine Zweifel, würde das gleiche wie ihres sein. Sie unterdrückte ein Gähnen und kniff sich fest in die Waden, um nicht vom Schlaf überfallen zu werden.
    Endlich wurde das Warten belohnt.
    Eine stille Gestalt huschte über den nachtdunklen Hof. Im Schein seiner Fackel erkannte Columba Lazarus. Rasch glitt sie von der Truhe herab, schlich zu Mertgins Lager hinüber und löste das Schlüsselbund vom Gürtel ihres Nachtgewands. Fest umklammerte sie das klirrende Bündel, wenig später entließ sie sich selbst aus ihrer Gefangenschaft und rannte auf leisen Sohlen den Korridor entlang, die erste Treppe hinab. Von der Hauskapelle leuchtete ein Lichtstrahl zu ihr herüber – Juliana!
    Das Mädchen kümmerte sich nicht darum, flog die zweite Treppe hinab und bremste sich im letzten Augenblick. Die Tür zum Morgensaal tat sich leise knarrend auf. Noch jemand hatte dort den nächtlichen Hof bewacht. Columbas Herzschlag setzte für einen Moment aus. Der Dürre!
    Mit angehaltenem Atem wartete sie, bis der Spitzel durch die Haustür geschlüpft war, dann schlich sie ihm nach. Draußen vernahm sie dumpfe Huftritte. Lazarus mußte Lappen um die Hufe seines Pferdes gebunden haben. Immer schwächer wurde das Geräusch, jetzt mußte er den Torbogen passiert haben. Verflucht, was machte der Spitzel?
    Columba schloß die Augen und zählte, dann öffnete sie beherzt die Tür zum Hof. Er war leer. Fest schlug sie den Umhang um sich und lief leichtfüßig zum Tor, wenig später drückte sie sich an Häuserwänden entlang auf das Rheinufer zu. Die Augen fest auf den Boden gerichtet, spähte sie nach offenen Kellerlöchern, die nächtlichen Zechern immer wieder zum halsbrecherischen Verhängnis wurden. Derbe Gesänge drangen aus einigen Gassen, Winkelschenken und Kaschemmen zu ihr, schwollen an und verstummten wieder. Columbas Herz klopfte schnell. Nicht so sehr aus Angst. Wenn sie einen Gedanken darauf verschwendet hätte, hätte sie es ehrlich eingestanden. Es war unbändige Lust, die es so hoch schlagen ließ. Kölns Gassen hatten sie wieder, und in den Gassen herrschte Karneval.
    So auch im Haus der Greven am Holzmarkt. Das erste Stockwerk war hell erleuchtet. Die Nacht war Musik. Saitenspiel und Gelächter verrieten den Maskenball. Wie in Kölns vornehmen Häusern üblich, dauerten diese Feste bis tief in die Nacht.
    Ein Mann mit Vogelmaske spähte an der Hauswand empor, sah sich nach allen Seiten um und verschwand schließlich in einer handtuchschmalen Gasse neben dem Haus. Mit leisen Schritten lief er an der Seitenmauer entlang, endlich entdeckte er knapp über dem Boden das vergitterte Loch. Er kniete nieder, streifte die Maske

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