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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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über die Stirn und stieß einen leisen Pfiff aus. Nichts regte sich. Er drehte sich noch einmal um, dann drückte er sein Gesicht ganz nah ans Gitter. Er rief einen flämischen Gruß in die Finsternis. Stroh raschelte leise, leichtfüßige Tritte wurden laut.
    »Wer ist da?« flüsterte eine aufgeregte Frauenstimme.
    »Ich bin es Tringin, Lazarus. Ich bin gekommen, um deinen Vater und dich zu befreien.«
    »Lazarus?«
    »Schweig und hör mir zu. Ich habe zwei Masken und Umhänge bei mir. Ich werfe sie jetzt zu dir hinab. Zieht beides an und hockt euch in die hinterste Ecke der Zelle.«
    Tringin zögerte, dann streckte sie die Hand vor und empfing Masken und Umhänge.
    »Mit wem sprichst du?« fragte hinter ihr eine heisere Stimme.
    »Luthger!« rief Lazarus. »Vertrau mir, ich bin gekommen, um euch herauszuholen.«
    »Mein Sohn, ich bitte dich, bemühe dich nicht. Ich bin bereit, für meinen Glauben zu sterben.«
    »Vater«, protestierte Tringin verzweifelt.
    Ungeduldig preßte Lazarus sein Gesicht noch näher an das Gitter. »Laß ab von deinem Starrsinn, alter Mann. Cassander bat mich auf seinem Sterbebett, dir zu helfen. Er war sich sicher, daß das der Wunsch meines Vaters gewesen wäre. Also gehorche deinem alten Dienstherrn ein letztes Mal.«
    In das Schweigen hinein erklangen die süßen Flötentöne des Grevenfests.
    »Ihnen ist’s egal, was wir um unseren Glauben leiden«, knurrte der alte Mann im Kerkerloch verbittert.
    »Eben darum sollte es dir nicht so eilig mit dem Sterben sein. Geht nun in die Ecke, schützt euch mit den Armen und erschreckt nicht, wenn es gleich einen mächtigen Knall gibt.«
    »Was hast du vor?«
    »Ich werde die Mauer aufsprengen.«
    »Man wird uns alle fangen!« rief Tringin entsetzt.
    »Nicht, wenn ihr flink wie ein Blitz seid. Die Masken werden uns auf den Gassen schützen, niemand wird in euch die Gefangenen erkennen. Und sollte es doch geschehen, so war es der Wille des Herrn.« Lazarus trat zurück. »Falls es einen gibt«, murmelte er und zog die Lederbeutel mit dem Pulver van Gelderns hervor.
    Der Dürre stand leise atmend am Kopfende der Gasse. Das Gemurmel der Stimmen verstand er nicht, doch als jetzt der Mann in der Vogelmaske seine Fackel an eine lange Lunte hielt, wußte er genug, um rasch hinter einem Mauervorsprung abzutauchen. Funken sprühten, zischend fraß sich ein blaues Flämmchen durch den mit Salpeter getränkten und mit Bleizucker gebeizten Hanfstrick. Das Glimmen näherte sich kriechend einem frisch gefüllten Tonkrug, er zerbarst mit ohrenbetäubendem Knall.
    Rauch und Qualm stiegen in dicken Wolken empor, aus bröckelndem Mauerwerk quoll weißer Ziegelstaub. Flammen tanzten im Keller hoch, leckten an Stützbalken und fraßen sich gierig ins Stroh.
    Lazarus zog mit festem Griff erst Tringin, dann Luthger zu sich herauf. Beide unterdrückten mühsam ihr Husten und rangen gleichzeitig nach Luft. Ohne sich umzuschauen bahnte Lazarus sich einen Weg durch Geröll und Qualm. Am Ende der Gasse wartete er auf die Gefährten, stieß sie auf den offenen Platz und befahl ihnen, hinüberzulaufen. Dahin, wo sein Pferd stand, ein trainiertes Soldatenpferd, das der Unruhe, dem Lärm, dem Geruch verbrannten Pulvers trotzte.
    Die Haustür des Greven wurde aufgestoßen, Wächter, Maskierte, Pfaffen und kreischende Damen stürzten in einer Wolke aus Qualm auf den Marktplatz. Die meisten auf der Flucht vor dem Brand, der sich mit rasender Wut im gesamten Keller ausbreitete. Besonnenere schrien nach Wasser.
    Lazarus sah, daß der Greve seinen bewaffneten Knechten Befehl gab, in den Keller hinabzusteigen, um die Gefangenen zu bergen. Die Wächter weigerten sich und machten Geschrei. »Der Waffenkeller! Das Arsenal. Wenn das Feuer dahin rast ... Weg, weg!«
    Lazarus zögerte noch einen Moment, dann zog er die leeren Lederbeutel hervor und warf sie in eine Gassenpfütze. Das Feuer würde sie nicht verzehren. Sein Vater wäre gerächt, sobald die Beutel gefunden würden. Die Vogelmaske vorm Gesicht wollte er Luthger und Tringin folgen, als der Dürre ihm den Weg vertrat.
    »Wohin so eilig, Ketzerfreund?« rief er höhnisch. »Wollt Ihr dem Greven nicht Euren Gruß entbieten?« Er drehte sich zu der Gruppe von Menschen, die wild und lauthals schrie, und weit entfernt vom Haus versammelt stand, wo der Herd des Brandes lag. Der Dürre öffnete den Mund. »He, da!« Weiter kam er nicht. Ein harter Schlag von hinten ließ ihn zu Boden fallen. Ein Stein folgte ihm.
    Lazarus sah in das

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