Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Mannes, der Lazarus’ Vater heimtückisch in den Tod schickte? Weiß der Sohn deine Liebe denn zu schätzen?«
»Was redest du nur? Mein Vater soll ein Mörder sein?«
»Gewiß. Weißt du es nicht? Er klagte Lazarus’ Vater bei Calvin als geheimen Katholikenfreund und damit als Ketzer an. Und der Genfer Zelot war nie zimperlich, wenn es um Feinde seiner Konfession ging. Er ließ den armen Mann brennen. Dein Vater mordete feige mit der Feder, wo andere den Dolch benutzen.«
»Du lügst!« stieß Columba heftig hervor. »Du lügst!«
Der alte Wiedertäufer zuckte abfällig mit den Schultern und verschwand im Hof.
Columba stand da wie erstarrt. Freilich, das würde alles erklären. Lazarus’ kaltes Schweigen! Den Spott, die Abscheu, die immer wieder in seinem Gesicht und seiner Stimme aufgeglommen waren, wenn sie miteinander sprachen. Aber ihr Vater ein Ketzerankläger? Niemals. Ihn interessierte das Religionsgezänk nicht, wenigstens darin glich er ihr, wenigstens dafür achtete sie ihn und sein kaltes Herz.
Sie riß sich aus ihren Gedanken und beobachtete, wie Lazarus die Deckel über den Kisten verschloß, in denen sich Tringin und Luthger versteckt hatten. Er schlug die große Plane des Reisewagens über das gewölbte Eisengestänge und zurrte sie fest. Dann lief er durch den Torweg zur Kirche, holte sein Pferd und band es an den Karren im Hof. Im Stall wurde eine Laterne entzündet, der Kutscher war wach. Lazarus sah zu Columba hinüber und schlenderte zögernd auf sie zu.
»Ich muß fort.« Er schaute mit unbewegter Miene auf das Mädchen. Sie hielt sich mit zitternden Händen am Türriegel fest. »Willst du mir keinen Abschiedsgruß sagen?« fragte er leise.
Sie hielt den Blick gesenkt. »Ich dachte nicht, daß du Wert darauf legst.«
Lazarus nahm sie bei den Armen. »Ich lege mehr Wert darauf, als mir lieb ist. Sage wenigsten Lebewohl und laß uns alles andere vergessen, was zwischen uns war.«
Columba schaute ihn ungläubig an. »Du mußt mich hassen.« Verblüfft starrte er sie an. Columba biß sich die Lippen.
Lazarus lächelte traurig. »Ich hasse dich nicht, ich habe dich nicht eine Sekunde gehaßt.« Einem Impuls folgend beugte er sich zu ihr hinab. Dicht war sein Gesicht an dem ihren, so dicht wie damals im Morgensaal, als er ... Columba bezähmte sich nicht länger. Sie bewegte den Kopf ganz sacht, fand seinen Mund und vergaß für einen wirbelnden Moment alles, was gegen diesen Kuß sprach. Die Leidenschaftlichkeit, mit der sie liebte und ihn begehrte, entsprach dem ganzen Ungestüm ihres hitzigen Temperaments. Als sie sich voneinander lösten, war es Lazarus, der sie ungläubig anschaute. Wie nackt war sein Gesicht für einen Augenblick, nackt, jung und verwundbar. Columba legte ihre rechte Hand an seine linke Wange, es war eine zarte Berührung, so zart und hingebungsvoll, daß Lazarus heftig erschrak und zurückzuckte. »Nicht«, sagte er bittend.
»Oh Lazarus, wende dich nicht von mir ab. Ich bin nicht mein Vater. Luthger sagte mir alles. Was immer die Schuld meines Vaters ist, ich habe keinen Anteil daran. Warum soll ich dafür büßen, was er getan haben mag?«
Der junge Mann schwieg, Bestürzung malte sich auf seinen Zügen ab.
»Lazarus, glaube mir, ich liebe dich wie keinen anderen. Es ist ein Gefühl, das ich nicht kannte und nie suchte. Es ist ein Gefühl, das stärker ist als wir beide, was immer dagegen spricht. Ich liebe meinen Vater nicht so, wie du den deinen geliebt hast und bin bereit, gegen seinen Rat und seinen Willen ...«
»Columba«, stieß er hervor, »du weißt nicht, wen du so zärtlich anfaßt, wem du dein Herz anvertraust.«
»Ich weiß alles, weil ich dich liebe«, sagte Columba fest und schaute ihn beinahe flehend an, »die Liebe verzeiht alles, sie duldet alles, sie fragt nichts ...«
Lazarus unterbrach sie mit harter, kalter Stimme.
»Du weißt nicht alles. Ich habe in dieser Nacht deinen Vater verdorben. Die Pulversäcke, die ich beim Haus des Greven zurückließ, sind aus seinem Keller. Sie tragen seinen Stempel. Man wird ihm wahrscheinlich einen Prozeß machen, bei dem er sein Vermögen und seine Ehre verliert. Da der Dürre als stummer Zeuge tot am Tatort zurückblieb, wird kaum noch ein Zweifel bestehen, daß dein Vater bei der Ketzerbefreiung die Hand im Spiel hatte.« Er brach ab.
Das Mädchen erstarrte, taumelte zurück, prallte mit dem Rücken gegen die Tür. »Hast du«, brachte sie schließlich schluckend hervor, »hast du dabei nicht an
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