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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Ochsengerippe, als seien es Lauten. Mit aufgerissenen Schlünden und vorgereckten Klauen stürzten sie sich auf sie, Reißzähne blitzten auf und drohten sich in ihr Fleisch zu bohren. Sie wand sich wie unter Schmerzen und fühlte doch keine Regung, bis endlich aus den Tiefen ihres Leibes eine Welle hochbrandete. Eine brennende, ekle Flüssigkeit schoß in ihren Hals und ergoß sich in ihren Mund, füllte ihn ganz aus, nahm ihr den Atem. Sie schmeckte Eisen und Tod.
    Die Kornmeisterin schnellte hoch, drehte den Kopf zur Seite und erbrach in einem einzigen Schwall Magensaft, Blut und Weckbrocken.
    Keuchend saß sie da, immer noch taumelte Höllengetier auf sie herab. Doch die Geister wurden langsamer, ihre Fratzen immer blasser. Sie zitterte und wollte schreien, brachte aber nur die Kraft auf, die Augen aufzureißen. Mit einem Schlag war der Spuk vorbei. Ungläubig starrte die Frau zur Decke empor. Der saure Geruch des Erbrochenen stieg ihr in die Nase – und machte sie wütend. So wütend, daß sie ihre Kräfte zurückkehren fühlte. Das Weckbrot!
    Die Kornmeisterin stemmte sich fest auf ihre Hände, kam auf die Knie und wuchtete ihren schweren Leib nach oben. Teufel, Dämonen, Höllengetier. Alles Unsinn! Ein heiliger Zorn trieb sie an. Sie achtete nicht auf den Schwindel in ihrem Kopf, tauchte nur kurz die Hand in einen Krug mit Wasser und wischte sich die brennende Stirn. Das Fieber war wie die Visionen von Menschenhand gewirkt. Immer heißer fühlte sie die Wut in sich toben. Sie würde diesen Schleier gemeinster Lüge zerreißen. Was für ein Bubenstück, was für ein grausamer Betrug gegen alle wahre Frömmigkeit. Sie würde es Rebecca mitten ins Gesicht sagen. Kein Zaudern mehr, kein Zögern, keine Rücksichtnahme. Dieses Verbrechen verdiente die härteste Strafe. Die Inquisition hatte recht mit ihrem heiligen Haß gegen solche falschen Frauenzimmer. Die Inquisition mußte diesem Betrag ein Ende machen. Ohne Erbarmen.
    Sie riß die Tür auf und trat mit festen Schritten in den Gang.
    Nur wenige Schritte noch, dann würde sie Rebecca endlich die ganze Wahrheit enthüllen, und Anna, dieser wahren Hexe, endlich das Handwerk legen. Die Kornmeisterin glühte noch immer vor Zorn, während sie sich ihre Worte zurecht legte. Anna hatte ihr den Weck gegeben, wohl wissend, daß der Weck in ihrem Magen landen würde. Aber sie hatte nicht mit ihrer Widerstandsfähigkeit gerechnet. Sie, die Kornmeisterin, war nicht so empfänglich für Visionen und Ekstasen, sie hatte erkannt, aus welchem Stoff die Höllenträume gemacht waren. Rebecca hingegen – die Kornmeisterin schüttelte ärgerlich den Kopf. Eine empfängliche Seele wie die ihre war schnell verdorben und verwirrt. So war es immer, die Listigen dieser Welt übten ihre Bosheit gegen die Unschuldigsten, die Wehrlosen, die wahrhaft zarten Gemüter.
    Rebecca mußte wenigstens in diesem Fall von all ihrer Milde und Sanftmut befreit werden. Die Kornmeisterin hatte Beweise. Sie wußte jetzt, was die Schaffnerin stets in aller Heimlichkeit in der Kammer der Magistra getrieben hatte. Sie hatte es nicht heimlich genug getan. Tief atmete die Kornmeisterin durch, als sie an der Treppe vorbeikam und sich zur Tür der Konventsherrin wenden wollte, als eine graue Frau ihr den Weg vertrat. Sie war so plötzlich aus dem Dunkel aufgetaucht, daß die Kornmeisterin zurückfuhr. Ihr blieb keine Zeit für einen Schrei, ein harter Stoß nahm ihr den Atem, sie taumelte rückwärts, spürte die Kante der ersten Treppenstufe noch unter der rechten Ferse, dann verlor sie unter einem zweiten Stoß endgültig den Halt. Sie stürzte in die Leere, verzweifelt suchten ihre Hände nach Halt und fanden ihn nicht. Sie ruderte mit den Armen. Ihr Körper drehte sich, riß sie mit seinem Gewicht weiter nach unten, sie überschlug sich, riß die Augen auf. Dumpf schlug ihr Kopf an eine Treppenkante, sie schloß die Augen.
    Anna wußte, daß es für immer war. Leise lief sie zu dem leblosen Körper am Fuß der Stiegen, riß das Leibtuch über der Brust auseinander und zückte ein Messer. Die Haut der Toten war ganz weich und lebenswarm. Anna arbeitete mit raschen, scharfen Schnitten, so wie sie es schon bei Katharina getan hatte. Dann flog sie die Treppe wieder hinauf, öffnete die Tür zur Zelle Rebeccas, warf das blutbeschmierte Messer hinein und hob an, Zeter und Mordio zu schreien.
    3
    H ellwach lauschte Columba in die Dunkelheit hinein. Das Schnarchen Mertgins schwoll zu einem drohenden Sägen an.

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