Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
einschmiegte, hätte sie schon jetzt die süßen Wonnen des vollkommenen Triumphs empfunden. Mit frohem Herzen ging sie in den Vorraum des Konvents herab und legte sich einen Umhang über die Schultern.
»Was hast du vor?« fragte eine der Schwestern mit banger Stimme.
»Ich gehe zum Hause van Geldern. Ich muß dem Schwager sagen, was geschah.«
»Weshalb dem Schwager?«
Ein listiger Blick stahl sich in die Augen der Schaffnerin. »Nur er kann noch helfen. Er hat Ansehen und Macht, um eine Anklage zu verhindern. Wir müssen Rebecca schützen.«
»Schützen? Vor dem Satan schützt sie auch der mächtige Kaufherr nicht«, warf eine Mitschwester ein, die zur Partei der Zweifelnden gehörte. Was würde sie für eine treffliche Zeugin sein, wenn der Zeitpunkt gekommen war, dachte Anna befriedigt.
»Was redest du«, sagte eine andere, »eine Diele oben ist lose, was hat das mit Satan zu tun? Die Kornmeisterin stürzte unglücklich ...«
»Und brachte sich dabei selbst die Verletzungen mit dem Messer bei?« trumpfte die andere auf.
»Nein, aber auch Satan war es nicht, ihm wäre die Klaue verbrannt, hätte er den Namen Jesus buchstabiert. Frage einen Exorzisten, er wird es dir bestätigen. Mit dem Heiligsten scheut der Böse jeden Umgang, schon ein einfaches Kreuz bezwingt ihn.«
»Ich bleibe dabei, er führte Rebecca die Hand. Wir alle sind in Gefahr.«
Einige Schwestern knieten spontan nieder und begannen ein Gebet. Anna lauschte mit wachsender Freude dem Zank. »Der Gewaltrichter muß den Fall untersuchen, hole ihn!« forderte nun eine der Beginen forsch.
»Nicht, bevor ich mit van Geldern gesprochen habe«, sagte die Schaffnerin scharf. »Bahrt die tote Kornmeisterin in ihrer Kammer auf und haltet Wache an der Bahre, wie es sich geziemt. Wir sind nur dumme Weiber, wir bedürfen der Hilfe.«
»Dieser Fall bedarf vor allem geistlicher Überprüfung, wenn schon nicht der Gewaltrichter eingreifen soll«, beharrte hartnäckig eine der Frauen.
»Dann gehe ich eben auch zum Diakon, unserem Beichtvater. Nun macht schon, tragt die Tote fort. Kümmert euch um Rebecca, betet für beide. Ich habe zu tun.« Damit verschwand sie in die weichende Nacht.
5
O hne auf den Weg zu achten, war derweil Columba in die Kirche vorausgegangen. Sie stieg müde die Treppe zur Hauskapelle hinauf, öffnete die Tür und spähte hinein. Dunkelheit. Columba beugte sich über die Brüstung des Triforiums und machte den anderen, die bei der Kirchentür warteten, ein Zeichen. Luthger und Tringin schlichen durch das Kirchenschiff, das nur von einigen ewigen Lichtern erleuchtet war. Tringin ging mit gesenktem Haupt, ihr Vater – unverbesserlicher Starrkopf – lupfte vor der Madonnenstatue spöttisch die Mütze, dann spuckte er aus.
Columba erschrak. Mochte dieser Mann glauben, was er wollte, mochte er ein Verfolgter sein, es war trotzdem eine Häßlichkeit, gerade die Mutter Gottes, dieses Sinnbild für Gottes ganze Zärtlichkeit, zu entweihen. Mit Freuden sah sie, daß auch Lazarus den alten Mann mit einem zornigen Blick strafte.
In der Hauskapelle angelangt, legte Lazarus den rechten Zeigefinger auf die Lippen und deutete mit dem Kopf zur Tür in das Haus. Columba verstand, sie schlüpfte in den Korridor, lief zur Treppe und spähte hinauf und hinab. Es herrschte jene vollkommene Stille, die der Morgendämmerung unmittelbar vorangeht. Eilig kehrte sie zur Kapelle zurück und führte die drei Wartenden in die Vorhalle. Lazarus lief über den Hof zum Karren, schwang sich behende auf die Ladefläche und öffnete zwei mannslange Kisten. Dann winkte er.
Schweigend umarmten sich die Freundinnen. »Ich danke dir, Columba«, flüsterte Tringin und küßte das Mädchen fest auf beide Wangen. »So Gott will, werden wir uns wiedersehen. Du bist für immer in meinem Herzen.«
Columba schluckte, während Tringin über den Hof schlich. Luthger zögerte noch, fest sah er Columba in die Augen. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber tatsächlich muß ich einer van Geldern Dank sagen. Dank für mein Leben. Wiewohl ich es mit Freuden hingegeben hätte für meinen Glauben an den einzigen, den wahren, den gerechten Gott, dessen Wort ewig ist.«
Zorn regte sich in Columba. Wie haßte sie plötzlich dieses Geschwätz. »Dankt Lazarus«, sagte sie kalt, »ich habe Euch nicht geholfen, und wäre er bei der ganzen Sache zu Schaden gekommen, ich hätte Euch ebenso gehaßt wie ihr meinen Vater!«
»Oho, soviel Zärtlichkeit von der Tochter des
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