Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
seine Familie, an sein Haus, an mich gedacht?«
Lazarus streckte seine Hände nach ihr aus, sie wich weiter zurück, preßte sich fest an das Holz des Türflügels.
»Du hast keine Ahnung, wie sehr ich ihn haßte, Columba. Und ich glaubte nicht, daß du ... Denk an van Ypern, deine Wildheit, deinen Zorn, ich hatte so lange auf ein Zeichen von dir gewartet. Zu lange ...« Wieder brach er ab.
»Nicht lange genug.« Columba richtete sich auf. »Und du hast mir vorgeworfen, ich wüßte nichts von Liebe«, rief sie anklagend. Ihre Stimme war schrill von unterdrückten Tränen. »Du spielst den Menschenfreund, du gibst dich vor der Welt als ...« Sie suchte nach Worten.
Lazarus riß sie an sich, Columba wehrte sich, doch seine Hände umklammerten hart ihre Arme. »Ich werde es wieder gutmachen, Columba, ich verspreche es. Ich werde die Lederbeutel holen, alle Spuren verwischen bevor ich Köln verlasse. Versprich mir, auf mich zu warten, bis ich von der Reise zurück bin. Versprich es, ich werde zurückkommen ...«
Das Mädchen stieß ihm beide Fäuste in die Brust, Lazarus schnappte nach Luft und fuhr zurück.
Columba riß einen der Türflügel auf. »Kümmere dich nicht um mich, in zwei Wochen bin ich die Frau des Freiherrn van Ypern.«
»Du liebst ihn nicht.«
»Ich verzichte auf alles, was du Liebe nennst. Es ist nichts als eine Verwirrung der Gefühle, eine lästige Krankheit. Ich werde sie überwinden.«
Die Glocken von St. Alban verkündeten den Beginn eines neuen Tages. »Ich werde dir eine Nachricht zukommen lassen, Columba. Schon in wenigen Tagen. Versprich mir zu warten! Heirate nicht.«
Dumpf fiel die Tür ins Schloß. Lazarus starrte auf das Holz. Schritte wurden laut im Hof, das Klappern von Holzschuhen. Gähnende Mägde schlurften zum Stall, die Kühe zu melken. Ein Hausknecht entzündete Fackeln beim Tor.
»He!« schrie der Kutscher. »Was ist? Wenn wir heute Strecke machen wollen, sollten wir fahren. Heute nacht war mir, als hätte ich in der Ferne ein mächtiges Donnern vernommen. Gebe Gott, daß das nur eine Täuschung war.« Er schnalzte mit der Zunge und ließ das Gespann anziehen, lenkte es bis zum Tor. »Nun macht schon, sonst schaffen wir es nicht einmal bis zu den Stadttoren und verpassen den sicheren Troß der anderen Händler. Gleich verstopfen das Marktgesinde und die Kappesbauern alle Gassen.«
»Sofort!« rief Lazarus unwirsch, leise sagte er: »Ich komme zurück. Gott verzeihe mir, was ich getan habe.« Dann wandte er sich von der Tür ab und lief zum Wagen hinüber.
Er wußte nicht, daß der Kaufherr alles getan hatte, um seine Rückkehr zu verhindern. Van Geldern war nicht entgangen, daß ein Neugieriger seine Papiere studiert hatte – alte Schuldscheine, Kreditbriefe, Verträge. Er hatte daraufhin entschieden, daß Lazarus nie mehr nach Köln zurückkehren sollte. Ein Brief reichte aus, um die Beseitigung dieses lästigen Menschen zu bewerkstelligen, nachdem er seine Dienste als unwissender Pulverschmuggler versehen hätte. Im englischen Kanal hatten schon viele Kaufleute ein kühles Grab gefunden, und keiner fragte lange danach, denn dort wimmelte es von Freibeutern, bestechlichen Matrosen und anderem Mördergesindel.
Lazarus setzte sich neben den Mann auf den Kutschbock. Hakenbüchsen, Luntenrohre, Stöcke und sein Degen lagen darunter. Schon auf der Straße nach Antwerpen lauerten die Straßenräuber, weshalb der Kutscher drängte, den Troß der anderen Kaufreisenden zu erreichen, die sich zu einer Reisebruderschaft zusammenschließen wollten. Doch Lazarus dachte nicht an die Gefahren seiner Reise, seine Gedanken waren bei Columba.
»Wir fahren über den Holzmarkt«, wies er den Kutscher an.
»Das ist ein unnötiger Umweg«, protestierte der Fuhrmann, »wir müssen zur Weyerpforte.«
»Schweig und fahr los!« befahl Lazarus und beachtete den fluchenden Kerl nicht weiter. Auch der Frau in grauer Beginentracht schenkte er keine Aufmerksamkeit, obwohl sie ihr Haupt stolz erhoben trug, und – während sie eine Pfütze übersprang – die groben Röcke lupfte, als sei sie eine Königin auf dem Gang zum Audienzsaal.
6
W o ist mein Sekretär?« Zornig ging Arndt van Geldern in seinem Büro auf und ab. Verängstigt beobachtete ihn Mertgin. »Was treibt dieser Kerl sich des Nachts herum, anstatt meine Tochter zu bewachen?«
»Es ist meine Schuld, Herr. Ich schlief zu fest, ich ...« Mertgin unterbrach sich und knetete ihre Schürze.
»Du warst betrunken, altes Weib. Darum
Weitere Kostenlose Bücher