Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
herrliche Hochzeit feiern.«
Ein rauhes Stöhnen löste sich aus Columbas Kehle, dann sank sie zu Boden. Im Hof fing ein Trupp Musikanten an zu spielen. Trommeln, Pfeifenspiel, ja sogar Hörner, obwohl sie laut der Ratsgesetze gegen übertriebenen Luxus zu diesem Anlaß verboten waren. Doch der Freiherr van Ypern ließ sich nicht lumpen und – einer kölnischen Sitte gemäß – seiner Herzensdame ein Morgenständchen bringen. Die Musikanten spielten und sangen mehr als eine Viertelstunde, bis der Kaufherr van Geldern einen Knecht zu ihnen hinabschickte und sie vom Hof jagen ließ. Derselbe Knecht hatte Anweisung, die Wachleute des Gewaltrichters, die vor dem Tor standen, darüber zu informieren, daß er, van Geldern, ihren Dienstherrn nach der Messe erwarte. Eine wichtige Wendung im Fall der seltsamen Explosion läge vor.
Die Sache sei geklärt. Der Gewaltrichter möge eilen. Die Ankündigung eines üppigen Mittagsmahls gab der Nachricht eine appetitanregende Note.
4
G efolgt von seinen beiden Subdiakonen und den Meßdienern trat der Diakon von St. Alban aus der Sakristei. Brausende Orgelklänge begleiteten seinen Einzug, stolz und beinahe schön sah er aus, der hochgewachsene, magere Mann in seiner schwarzen Cappa mit Kapuze und dem seidenen Chormantel, den er darüber trug. Mit gemessenen Schritten schritt er zum Altar, knickste und stimmte das Antiphon an, Subdiakone und Chor fielen mehrstimmig ein.
Juliana warf beim Anblick des Kirchenmannes stolz den Kopf zurück. Ihre Sklavin Melina holte hörbar Atem. Columba, die im Chorgestühl neben der Schwester saß, nahm nichts von alldem war. Auch das Augenzwinkern ihres Verlobten, der neben dem Vater im Chorgestühl der männlichen Familienmitglieder saß, war an sie verschwendet. Nur das anschwellende Pfeifen, das Brausen und Echo der Orgel drang zu ihr durch und erfüllte sie mit einem gewaltigen Sturm von Gefühlen. Ohnmächtige Trauer mischte sich mit verzehrendem Schmerz. Das Gloria traf sie wie ein Messerstich mitten ins Herz. Und während der Diakon feierlich die Messe zelebrierte, fand sie langsam zu ihren Gedanken zurück, die allesamt düster, schwarz und ohne Hoffnung waren. An die Stelle der Liebe war ein ebenso heftiges Gefühl getreten, das ihr alle Lebenskraft zu rauben drohte. Es war, als wolle ihre Seele sich von ihrem Körper lösen. So mußte es sein, wenn Gevatter Tod erschien. Aber der Tod kennt kein Erbarmen – sie würde weiterleben, und ihr Herz würde eine Wüste sein.
Der Diakon und die Subdiakone knieten vor dem Altar und begannen miteinander die Bußpsalmen zu beten – Herr erbarme dich unser. Endlich drang das »oremus« – lasset uns beten – an Columbas Ohr. Mechanisch sank sie wie der Rest der Gemeinde auf die Knie, faltete die Hände.
»Wir bitten dich, Herr, erhöre die Bitten der Flehenden ... Deine unaussprechliche Barmherzigkeit ...« Zwei Kantoren sangen die Litanei vor, und Columba empfand zum ersten Mal in ihrem Leben den tiefen Trost, der von diesen ewig gleichen, unveränderlichen religiösen Formeln und Übungen ausging. Das Gebet, so glaubte sie, würde jede Leidenschaft in ihr töten und jeden Gedanken überlagern. »Gott, dem es eigen ist, stets Erbarmung zu üben und zu schonen ...«
Der Freiherr van Ypern betrachtete sie bei alldem verzückt. Was die Religion doch aus den Weibsbildern machte! Engel, wahre Engel. Und dieser Engel dort drüben, der – von dunklen Holzschnitzereien eingerahmt – so leuchtend schön und keusch schien, würde bald der seine werden. Der Kontrast zwischen seinen durchaus fleischlichen Begierden und der seelenvollen Frömmigkeit seiner Braut erhöhte den Reiz dieser Vorfreude. Süßes Schweben der Lust. Er war der Jäger, sie die Beute. Die Unnahbare würde schon in der morgigen Nacht in seinen Armen liegen. Er würde sich an dem versiegelten Brunnen laben, diese hübschen Zwillingslämmchen zähmen, einen Engel zur Frau machen, ganz wie es Gott und ihm gefiel.
Mit leichtem Widerwillen betrachtete Arndt van Geldern den derben Flamen neben sich, der nur stöhnend und schnaubend von den Knien hochkam. Ein feister, genußsüchtiger Kerl. Die Mitgift würde er mit Gewißheit allzu rasch durchbringen und sich dann bettelnd an ihn wenden. Um so besser, die Hafenrechte wären ihm als Pfand für weitere Anleihen gewiß. Seine Brust weitete sich beim nächsten Atemzug und diesem Gedanken. Endlich konnte er wieder planen, die Pulvergeschichte war aus der Welt.
Er ließ seinen Blick über
Weitere Kostenlose Bücher