Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
die Köpfe der Gemeinde im Kirchenschiff schweifen, suchte in den Frauenbänken links des Ganges ein Gesicht. Da saß sie tatsächlich und wand sich unter seinem Blick vor Stolz und Freude wie eine Schlange, die Schaffnerin Anna. Nun ja, sie hatte sich als taugliche Botin erwiesen, hatte – dank ihrer zwielichtigen Vergangenheit – keine Scheu gekannt, in schäbigen Hafenspelunken ein paar rohe Söldner aufzutreiben. Und doch, sollte er das Geschäft, was Rebecca betraf, mit ihr wagen?
Anna gelang es, dem Diakon frech zuzunicken. Es schien, als wolle sie ihm ein Zeichen geben. Wofür? Van Geldern verzog angewidert den Mund. Er dankte Gott, daß ihm durch Lazarus’ Tod wieder Raum und Zeit gegeben waren, um das Angebot der Schaffnerin ordentlich zu überdenken. Sein Selbstvertrauen war wiederhergestellt, und er war überzeugt, Rebeccas Vermögen auch auf eigene, elegante Weise in seinen Besitz zu bringen.
Er betrachtete Columba, die morgige Braut. Eine Heirat? Vielleicht. Schließlich legten Beginen keine ewigen Gelübde ab, und würde Rebecca vor die Wahl zwischen Brandpfahl und Ehe gestellt, dann ...
Van Ypern nahm sich vor, seine Trinklust beim Brautschmaus zu zügeln. Columba verdiente seine volle Aufmerksamkeit und Manneskraft. »Amen.« Seufzend erhob er sich ein letztes Mal von seinen schmerzenden Knien und warf Columba einen sehnsüchtigen, sprechenden Blick zu. Sie fing ihn auf und fuhr zusammen. Die Gebete waren gesprochen, ihr süßer, einlullender Trost dahin.
Wie roh, wie kränkend und wie unerträglich war der Anblick des derben Flamen für sie. Nie, niemals konnte sie seine Frau werden. Doch eben jetzt trat der Diakon vor die Gemeinde, um den letzten Aufruf zu tun und damit das Verlöbnis auf immer bindend zu machen. Columba dachte an nichts, während sie sich erhob und aus dem Chorstuhl glitt. Julianas Hand griff bei dem Versuch, sie in das Gestühl zurückzuziehen, ins Leere. Mit festen Schritten ging Columba zum Altar. Die Gesichter der Gemeinde wandten sich ihr zu, der Diakon bemerkte die gespannte Aufmerksamkeit der Gläubigen und wußte, daß sie nicht ihm galt. Er drehte den Kopf. Columba stand neben ihm, ihre Augen waren starr nach vorn gerichtet, so als sähe sie bei der Kirchentür etwas, das ihre ganze Aufmerksamkeit fesselte. Sie öffnete den Mund, um zu sprechen und ihrem Schicksal eine neue Wendung zu geben.
»Gott soll mein Zeuge sein, daß ich allem Irdischen entsage und künftig nur Ihm, dem Allerhöchsten, dienen und Ihm, dem Allerherrlichsten, zu Ehren keusch und besitzlos leben will. Hiermit tue ich meinen Entschluß kund, in den Konvent meiner Tante Rebecca einzutreten. Ich bitte um den Segen der Kirche ...« Columba, die bis dahin mit fester Stimme gesprochen hatte, stockte kurz, fuhr dann fort: » ... und um den Segen meiner Familie.«
Van Geldern war schon bei den ersten Worten aufgefahren. Neben ihm saß kraftlos der Freiherr, öffnete und schloß den Mund, als schnappe er wie ein gestrandeter Karpfen vergeblich nach Luft. Der Kaufherr raffte seinen schweren Mantel und wollte zum Altar eilen, doch seine Tochter Juliana verstellte ihm den Weg.
»Vater«, flüsterte sie beschwörend, »nicht hier. Bedenkt den Skandal, wir dürfen unsere Überraschung, unsere Abscheu nicht zeigen. Sie hat die Formel gesprochen, sie ist nun eine Novizin der Beginen. Wir müssen stolz und glücklich scheinen.«
Van Geldern ballte seine Rechte zur harten Faust, schloß darin allen Zorn ein, doch sein Verstand blieb kühl genug, um die berechtigten Einwürfe Julianas zu begreifen. Columba hatte nach einer mehr als zweihundert Jahre alten Sitte gehandelt, die es Frauen – wiewohl es sich meist um Witwen handelte – gestattete, sich nach dem Gottesdienst und vor der Gemeinde zum Beginentum zu bekennen.
Freilich war es bei reichen Bürgerstöchtern üblicher, sich in ein vornehmes Stift einzukaufen oder in einem ordentlichen Nonnenkonvent Zuflucht zu nehmen. Allein im Falle Columbas würde das Vorbild der Tante als Erklärung für ihren Entschluß genügen. Wenn die Familie sich nun nur klug verhielte, ruhige Miene bewahrte und Zustimmung heuchelte, würde sie jedes Gerücht über Streitigkeiten zwischen den Brautleuten oder in der Sippe im Keim ersticken.
Schon bereute Arndt van Geldern seine unüberlegte Reaktion und sank, um es zu überspielen, in die Knie, so als wolle er Gott für den Entschluß seiner Tochter danken. Juliana tat es ihm nach, und so verharrten sie demütig am Boden,
Weitere Kostenlose Bücher