Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
sie ins Kontor gehen.«
»Dann eile, die Glocke schlug eben halb acht, sie werden gleich mit ihrer Arbeit beginnen. Ein Glück, daß heute Samstag ist, sonst hockten sie schon lange an ihren Pulten.«
Mertgin nickte kurz. Erleichtert atmete Columba auf, als die Magd endlich auf dem Korridor verschwand.
Die Tage der Lähmung waren vorüber. Die Tage des Zorns ebenso. Sie hatte Lazarus nicht vergeben, aber sie war bereit zu vergessen, wenn er ihr nur in einem Brief seine Gefühle, seine Erklärungen darlegen würde. Noch immer hallte sein Satz in ihren Ohren: »Warte auf mich.« Der flehende Ton ließ keinen Zweifel zu. Lazarus liebte sie, und sie liebte ihn. Mit jedem Tag ihrer Trennung war ihr Widerwillen gegen den Freiherrn gewachsen. Jetzt, da sie einen Vergleich hatte, wußte sie, daß es ihr unmöglich sein würde, an seiner Seite ihren Seelenfrieden zu finden oder auch nur ein erträgliches Dasein. Der Gedanke an eine fleischliche Vermählung mit diesem törichten Freßsack erfüllte sie mit nie gekanntem Ekel. Was sie früher vielleicht mit Gleichgültigkeit hätte ertragen können, war unmöglich geworden, schien ihr der niederträchtigste Verrat an Lazarus und ihrer eigenen Natur. Es durfte nicht sein, es konnte nicht sein. Ihr Vater schien zudem seit zwei Tagen wieder besten Mutes, hatte bei Tisch sogar mit ihr gescherzt. Alles sprach dafür, daß die Sache mit dem Pulver trotz allem ein glimpfliches Ende finden würde.
Wenn nur endlich eine Nachricht von Lazarus einträfe! Ein einziges Wort, und sie wäre zu allem bereit. Die letzten zwei Tage hatte sie mit bangem Warten verbracht. Heute mußte eine Nachricht eintreffen. Acht Tage war es her, daß Lazarus Köln verlassen hatte, längst mußte er auf der vielbefahrenen Strecke auf einen Viehtreck getroffen sein, dessen Treibern er nach Kaufmannssitte Briefe hätte mitgeben können. Noch vor den Toren Kölns hätte er eine solche Metzgerspost, wie es im Volksmund hieß, aufgeben können. Vielleicht hatte er nur gezögert, weil er zunächst Luthger und Tringin aus dem kurfürstlichen Hoheitsgebiet und über die Grenze nach den Niederlanden hatte schaffen wollen. Ja, das mußte es sein, beruhigte sich Columba und ging dabei unruhig in ihrer Schlafkammer auf und ab.
Sie war fest davon überzeugt, daß das Schicksal Lazarus und sie zusammengeführt hatte, daß es ihnen bestimmt war, sich trotz der mörderischen Beziehung ihrer Väter miteinander zu versöhnen – in Liebe zu versöhnen. Die Erinnerung an ihre letzten Worte beim Abschied trieben ihr noch einmal die Schamesröte in die Wangen.
»Ich verzichte auf alles, was du Liebe nennst. Es ist nichts als eine Verwirrung der Gefühle, eine lästige Krankheit. Ich werde sie überwinden«, hatte sie gesagt. Wie schon oft verfluchte sie ihr aufbrausendes Wesen. Zu oft lag ihr das Herz auf den Lippen. Wenn man Worte doch nur zurücknehmen könnte. Dennoch vertraute sie auf die Festigkeit von Lazarus’ Charakter. Er war nicht der Mann, der leicht vergaß, der schnell von seinen Gefühlen Abschied nahm, seine Liebe zu seinem Vater bewies es, und doch ...
Schritte ertönten, das Klappern von Holzpantinen. Mertgin kehrte zurück, und an der Ungleichmäßigkeit der Schritte, dem unruhigen Klimpern der Schlüssel, der Hast mit der die Magd die Tür aufsperrte, erkannte Columba sofort, daß sie eine Nachricht bei sich trug. Gebe Gott, flehte Columba mit plötzlichem Erschrecken, daß die Magd den Anstand besessen hatte, den Brief nicht zu lesen.
Zur gleichen Zeit nahm Arndt van Geldern sein Bad vor der Messe. Eben streckte er den Arm über den Rand der Wanne, der Bader legte ein Lederband um den Oberarm und zog es fest, bis das Blut sich staute. Dann setzte er den Schröpfschnepper an und ritzte vorsichtig die Haut ein. Blutstropfen traten aus. Eilig griff er nach den gläsernen Schröpfköpfen, die er über dem Badekamin erwärmt hatte, und setzte sie auf die Schnitte. Sie saugten sich schmatzend fest, die Schnitte begannen heftig, aber gleichmäßig zu bluten.
»Ein Viertel Quart werde ich zapfen, werter Herr, das sollte genügen, um Euren Körper von den lästigen Harngiften zu befreien.«
»Könntet Ihr nur auch die elenden Blasensteine aus meinem Leib treiben, dann würde ich Euch fürstlich entlohnen.« Der Kaufmann stöhnte mit geschlossenen Augen.
»Wenn ihr Euch nur zum Steinschnitt entschließen könntet«, ereiferte sich der Bader, der gleichzeitig als Chirurgus und Barbier tätig war.
»Würdet Ihr
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