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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Die schwarzen Haare versteckt unter der Beginenhaube. Niemals, niemals würde Columba das ertragen. Und sie selber ertrug es am allerwenigsten.
    Juliana hielt sich nicht lange auf beim Gebet. Ein kurzer Knicks bei der Madonnenstatue, dann öffnete sie leise die Tür zum Trifolium. Der Vespergottesdienst von St. Alban war beendet, der leise Geruch von Weihrauch lag noch in der Luft. Juliana schlich zur Treppe und hinab in das verlassene Kirchenschiff. Sie durchquerte die hohe Steinhalle bis zur Marienkapelle. Der Atem stockte ihr. Da kniete er. Seine Lippen bewegten sich, sein Gebet aber war stumm. Mit schwerem Knarren öffnete sich die Seitentür der Kapelle, eine weitere Gestalt schlich herein. Erst als sie neben den Diakon trat, erkannte Juliana im hellen Licht der Opferkerzen die Schaffnerin Anna. Die Begine beugte sich zu dem Diakon hinab, und Juliana nutzte die Gelegenheit, um zu einer nahen Säule zu huschen. Angestrengt lauschte sie.
    »Hochwürden«, wisperte Anna, »die Magistra ist wieder unruhig. Ich denke, heute nacht wird sie wieder eine ihrer Visionen haben.«
    Der Diakon senkte seine Stirn auf die gefalteten Hände und schwieg eine Weile, dann hob er den Kopf. Ohne Anna anzuschauen, fragte er: »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher.«
    »Aber was ist mit der Tochter des Kaufherrn? Sie scheint eine neugierige Person.«
    »Niemand wird Euch sehen, ich sorge dafür. Auch Columba nicht.«
    Noch immer schien der Diakon unentschlossen. »Es handelt sich um eine äußerst wichtige Angelegenheit, ich will nicht unüberlegt oder voreilig handeln.«
    Eine Zornesfalte zerteilte für einen Moment Annas Stirn, Juliana sah es, der Diakon sah nur das milde Lächeln der Madonna. »Hochwürden, ich flehe Euch an, die Sache bedarf endlich einer genauen Überprüfung. Die Geschichte mit der Kornmeisterin ...«
    Der Diakon warf ihr endlich einen Blick zu. »Schweig, die Geschichte ist vergessen.«
    »Nicht bei allen Schwestern, erst heute am Nachmittag tuschelten wieder einige häßlich darüber. Keine wagt es, in Rebeccas Kammer zu gehen. Wäre ich nicht gewesen, so hätte Rebecca seit Tagen nichts zu beißen bekommen. Ihr müßt Rebeccas heilige Berufung endlich vor aller Welt bezeugen. Auf Euch werden die Schwestern hören.«
    »Auf mich, der heimlich in ihre Kammer schleicht, der ...«
    Juliana hatte genug vernommen. Leise löste sie sich aus dem Schatten der Säule, beugte sich tief hinab und arbeitete sich gebückt bis zur gegenüberliegenden Seitentür der Kirche zu. Mit einem Ruck riß sie sie auf und verschwand in der Dunkelheit.
    Das Klappen der Tür ließ die beiden in der Marienkapelle aufhorchen. »Was war das?« fragte der Diakon alarmiert.
    »Der Wind nehme ich an«, antwortete Anna, »was ist nun? Werdet Ihr mitkommen?«
    Juliana ging ziellos durch die Gassen. Ihre Gedanken rasten, ihr Herz schmerzte vor Kummer. Es mußte etwas geschehen. Diese verzweifelte, vergebliche Liebe war unerträglich. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte das schöne Mädchen einen solchen Schmerz. Doch der Schmerz läuterte sie nicht, sondern trieb sie zu immer verwegeneren Rachegedanken. Endlich faßte Juliana einen Entschluß und schlug den Weg zum Konvent ihrer Tante ein.
    Die lehnte in diesem Moment erschöpft mit dem Rücken an der kalten Wand ihrer Klosterzelle. Der rauhe Stein gab ihr Kraft und Halt. Sie hatte nur wenige Löffel Suppe und zwei Becher verdünnten Weins zu sich nehmen können, dennoch fühlte sie sich endlich wieder ein wenig erfrischt. Mit dem Abglanz eines Lächelns betrachtete sie ihre Nichte Columba, die bei ihr auf dem Bett saß und mit mehr Ungeduld als Liebe eine Stickarbeit in den Händen hielt.
    »Quäle dich nicht damit, mein Kind«, sagte Rebecca heiser.
    Überrascht hob Columba den Blick. »Liebe Tante, du bist wieder bei Kräften.«
    Rebeccas Lächeln vertiefte sich ein wenig. »Ich wünschte, ich hätte deine Zuversicht.«
    Columba seufzte und warf die Stickerei achtlos beiseite. »Zuversicht! Nein, liebe Tante, die habe ich nicht mehr. Seit ich Lazarus tot weiß, ist alle irdische Freude für mich dahin. Nun will ich nur noch Gott dienen.«
    Rebecca richtete sich weiter auf. »Das klingt aus deinem Mund, als handele es sich dabei um eine Strafe.«
    »Nein!« protestierte Columba. »So war es nicht gemeint. Ich habe ja dich als mein Vorbild. So lange schienst du eine der glücklichsten Frauen, die ich kannte. Wenn erst deine Krankheit überstanden ist, werden wir unter diesem Dach ein friedliches,

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