Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
tauglich befunden hatte. Er blinzelte kurz, dann entdeckte er Rebeccas golden leuchtenden Namenszug am Rande des Tuches. Er verstand, gab sich einen Ruck und begann mit großem Können die Rolle zu spielen, die Anna, die Schaffnerin ihm zugedacht haben mußte.
Nie hatte einer der Anwesenden leidenschaftlichere Empörung und glaubwürdigere Abscheu im Gebaren und Ausdruck eines Mannes erlebt, dem gemeinhin nur Geldgier und Berechnung zugetraut wurde. In diesem Augenblick schien der vornehme Kaufmann nur von einem einzigen frommen Gedanken getrieben: Rebecca vor aller Welt als niederträchtigste Ketzerin anzuzeigen, die es gewagt hatte, die heilige Mutter Kirche öffentlich zu entweihen, und der noch ganz andere Freveltaten zuzutrauen seien. Arndt van Geldern beendete seinen Ausbruch mit der Ankündigung, auf der Stelle und ohne Zögern den kurfürstlichen Greven mit einer Inquisition zu beauftragen. Lediglich der grelle Aufschrei Julianas nahm seinem Auftritt ein wenig an Wirkung.
Am Ende einigten sich die umstehenden Zeugen darauf, daß Julianas Entsetzen auf die Entsetzlichkeiten des gestickten Teppichs zurückzuführen sei, der jede nur erdenkliche Todsünde zeigte und – schlimmer noch – lauter vertraute Gesichter darin verstrickt zeigte. Die ganze Sippe der van Geldern, Nachbarn, ehrbarste Bürger, der Diakon von St. Alban, ja sogar die vornehmsten Ratsherren und der Erzbischof selbst versammelten sich auf dem Bild in wilder Orgie und Anbetung des Satanischen, der über den Hörnern – Gipfel der Blasphemie – die Dornenkrone Christi trug und sich Rebecca in Gestalt des Diakons voll Wollust fleischlich zugesellte.
Die Gesichter der Betroffenen erstarrten in Abscheu und Entsetzen. Lediglich der Bürgermeister wahrte beim Anblick des Tuches die Ruhe. Mehr noch, in seinen Augen spiegelten sich warmes Interesse und leise Bewunderung. Der Kaufmann hingegen versicherte mit machtvoller Stimme, seine Schwägerin sei eine unverbesserliche Ketzerin, die von religiösem Wahn befallen, sogar seine eigene Frau verdorben und irre gemacht habe. Jetzt erst erkenne er ihre ganze Abscheulichkeit. Jetzt erst wisse er, daß sie eine Ketzerin sei, die auch seine Tochter Columba in ihren Bann gezogen habe, um sie zu verführen.
»Es grämt und empört mich zu erkennen, daß Rebecca von Scarpenstein, eine Bürgerin aus vornehmster Familie, die Schwester meiner eigenen, herzlich geliebten Frau, nichts weiter als eine von Irrlehren verblendete Begine ist, wie es schon so viele gegeben hat.«
Arndt van Geldern machte eine kurze Pause, in der er sich langsam bekreuzigte und endlich auf die Knie sank, den Blick fest auf die hölzerne Madonna geheftet. »Ich schwöre im Antlitz der heiligen Mutter Gottes, daß ich sie dem geistlichen Gericht anzeigen und ausliefern werde, denn ihre Boshaftigkeit verdient die härteste Bestrafung. Nur Brandpfahl und Scheiterhaufen sind geeignet, das Übel in ihrer Brust auszumerzen.«
»Amen«, sagte der Priesterherr. »Brennt sie!« riefen einige. Andere, denen Rebecca so manchen Dienst am Krankenbett erwiesen hatte, schwiegen betroffen.
»Es kann nicht wahr sein«, murmelte auch Doktor Birckmann, doch dann fiel ihm die rätselhafte Krankheit der Frau Katharina ein, und er verstummte. Der Bürgermeister aber trat nun ganz nahe an den Teppich heran und versank verzückt in dessen Betrachtung.
2
W ut verzerrte ihr Gesicht zu einer häßlichen Fratze. Mit keifender Stimme versuchte sie ein allerletztes Mal, Rebecca zur Umkehr zu bewegen. Umsonst. Das bleiche, ernste Gesicht der Magistra bliebt unbewegt, mit energischer Geste und bar aller Schwäche zog sie den Vorhang des Tragsessels zu und schloß sich so vor allen Blicken ab. Die Läufer hoben an und machten sich gleichgültig, den Lohn hatten sie bereits in der Tasche, mit flinken Schritten auf den Weg zum ehemaligen erzbischöflichen Palast auf dem Domhof. Dahin, wo nur das Gesetz des Kurfürsten-Erzbischof galt. Dahin, wo der Greve in finsteren, feuchten Kellern Ketzer und andere Religionsverächter verhörte und foltern ließ, Schöffen sie befragten und verurteilten. Die Magistra des Konvents hatte es von den Läufern verlangt und dafür gezahlt. Mochte das andere Weib zetern und toben, sie würden den Auftrag pünktlich ausführen. Alles andere ging sie ganz einfach nichts an.
Als sie schwankend das Ende der Gasse erreichten, wandte die Schaffnerin sich zornbebend Columba zu, die mit hängenden Schultern im Tor zum Konventshof stand. »Du
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