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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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vorangetrieben werden, gegen den Widerstand ihrer immer noch zahlreichen Freunde und Anhänger, die einer ehemals reichen Patrizierin die Treue nicht brechen wollten. Der schändliche Priestermord mußte auch sie am Ende verstummen lassen. Rebecca leugnete ihn nicht einmal, behauptete aber, sie habe dem Willen des Herrn genüge getan und würde bald offenbaren, wie tief ganz Köln in gräßlichste Sünde verstrickt sei.
    Es war ein verwickelter Prozeß. Die Schöffen des Kurfürsten hatten bislang nur soviel beschlossen: Eine Anklage auf Hexerei und Schadenszauber sei zu vermeiden. Zwei Gründe sprachen dagegen: Zum einen fürchteten sie, daß Rebecca ihre Ankündigung wahr machen und viele, auch vornehmste Bürger, der Teilnahme an Hexentänzen bezichtigen könnte. Zum anderen hatte man für solche Vergehen in Köln bislang nur ein paar alte, unbedeutende und lästige Vetteln abgeurteilt. Die letzte vor knapp zehn Jahren. So sollte es bleiben.
    Hingegen schienen die erzbischöflichen Juristen nicht abgeneigt, an Rebecca ein Exempel wegen hartnäckiger Ketzerei zu statuieren. Im Volk, das wußten sie, gab es heimlich Beifall für den Mord an dem Diakon, der unzweifelhaft an monströsen Ausschweifungen beteiligt gewesen war. Solchen Beifall galt es im Keim zu ersticken.
    Van Geldern war es gleichgültig, wofür seine Schwägerin am Ende brannte. Er schätzte sich sehr glücklich, weil es ihm an jenem Sonntag im März gelungen war, seine Anzeige zu erstatten, bevor Rebecca den erzbischöflichen Palast erreicht und sich selbst ausgeliefert hatte. Sie war zuvor der Beichte wegen in den Dom gegangen. Eitle Frömmigkeit, sie würde der Schwägerin nichts nutzen.
    Den städtischen Gewaltrichter hatte van Geldern mit einer kleinen Pension ausgestattet und beauftragt, die Untersuchungen im Fall seiner verstorbenen Ehefrau Katharina wiederaufzunehmen. Mit großer Strenge und amtlichem Eifer verhörte und verschreckte der Gewaltrichter das Hausgesinde van Gelderns, bedrängte Mertgin um eine belastende Aussage und fand in Anna, der Schaffnerin, eine nur allzu willige Zeugin für weitere Greueltaten ihrer ehemaligen Konventsherrin. Beredt gab sie über den rätselhaften Tod der Kornmeisterin Auskunft, sprach von betrügerischen Visionen Rebeccas, ihren vorgetäuschten, mystischen Empfindungen.
    »Eine elende Gleisnerin ist sie, werter Herr, uns alle wollte sie täuschen. Ich kann mir kein schändlicheres Verbrechen denken. Doch wie sollten wir – ein paar armselige Weiber – Argwohn hegen, wenn sogar ihr eigener Beichtvater diesem Blendwerk verfiel?«
    Der Gewaltrichter nickte ernst. »Ihr habt wohl recht, mich selbst besuchte sie einmal im Turm und streute mir Sand in die Augen. Ja, sogar ihr Schwager, der ehrenwerte Kaufherr van Geldern, saß ihren Lügen auf, obwohl sie sicher den Tod seiner eigenen Frau verschuldete.«
    »Fragt nur meine Mitschwestern, und Euch werden noch entsetzlichere Dinge offenbart werden«, versprach die Schaffnerin, und der Gewaltrichter rieb sich erwartungsfroh die Hände.
    Da der Konvent Rebeccas jedoch der geistlichen Gerichtsbarkeit unterlag, durfte der städtische Gewaltrichter hier nicht tätig werden. Aber van Geldern war auch in dieser Sache guter Hoffnung. Längst hatte er, gemeinsam mit anderen Verwandten der dort lebenden Beginen, beim Kurfürsten um Auflösung des Konvents nachgesucht. Der Rat unterstützte dieses Ersuchen, und täglich wartete man auf eine Botschaft aus Bonn, die es van Geldern erlauben würde, Columba aus dem Beginenhof zu holen und dem Freiherrn zu vermählen.
    Seine Aktivitäten und Verhandlungen nahmen den Kaufmann so sehr in Anspruch, daß ihn die augenfällig schlechte Verfassung seiner ältesten Tochter nicht weiter bekümmerte. Nur einen Besuch bei der Tante, im Verlies des erzbischöflichen Palastes, hatte er ihr ausdrücklich verboten, obwohl sie inständig um seine Erlaubnis bat.
    »Wenn du etwas für das Seelenheil dieser Ketzerin tun willst, die den Namen unserer Familie so schändlich entehrt, dann gehe in die Kapelle und bete«, hatte er sie abgewiesen.
    Doch Juliana war alles Religiöse ein Greuel. Sie ertrug nicht den Anblick der lächelnden Madonna. Sie zuckte zusammen bei der Erwähnung des Erlösers. An einem späten Aprilmorgen wies sie ihre Zofe Melina an, das letzte Abbild des Gekreuzigten in ihrem Zimmer mit einem dunklen Tuch zu verhängen.
    Schweigend gehorchte die Magd. Sie konnte nur ahnen, was in jener Nacht geschehen war, nachdem ihre

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