Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
spürbar nach. »Laß mich hineinsehen.«
Columba stellte den Korb in den Staub und schlug ein Leintuch zurück. »Reich mir eine von den Flaschen, ich muß es überprüfen. Wer weiß, was wirklich in den Flaschen steckt.«
»In keinem Fall das Huhn«, trotzte Columba auf und fügte beschwichtigend hinzu: »Du kannst beide Flaschen nach Herzenslust überprüfen, wenn du nur sofort den Weg freimachst. Zum Mittagsgebet muß ich zurück im Konvent sein. Als Novizin habe ich nur Erlaubnis für kurze Besuche.«
Der Wächter überlegte kurz, fand das Geschäft günstig und zog sich mit seinen Kostproben in einen kleinen Bretterverschlag beim Tor zurück, während Columba von einem Gerichtsboten durch den muffigen Hof des alten, trostlosen Gemäuers zu den Verliesen und Kellern geführt wurde.
Schaudernd stieg sie mit ihm die Treppen hinab, eisigkalte, feuchte Luft empfing sie. Es ging durch labyrinthische Kellergänge, in denen die ungefügen Mauerquadern Nässe spiegelten, es nach Kot und Auswurf, Krankheit und dem Angstschweiß ungezählter Menschen roch, die hier durch die Hölle gegangen waren und gehen würden.
Endlich gelangten sie zum Hauptgitter, vor dem an einem groben Tisch ein beinahe farbloser Kerkerwächter saß.
Ratten durchflitzten das Stroh. Hin und wieder traf sie ein Stockschlag des Wächters, der träge auf einem Schemel hockte. Zögernd bequemte er sich, das Gitter für die junge Begine zu öffnen. An den Verliesen anderer Übeltäter vorbei gelangten beide schließlich zu dem Kerker, den man der Magistra zugewiesen hatte. Was man sich von den Verliesen des Greven erzählte, war nicht übertrieben: kaum ein Gefängnis in Köln war finsterer, feuchter und trostloser als dieser Keller direkt unter der geweihten Erde des Domhofes.
Columba kniff die Augen zusammen, als sie die Zelle der Tante betrat, und suchte im Dunkel nach ihrer Gestalt. Sie entdeckte Rebecca in der Ecke, die einem hoch oben liegenden, vergitterten Fensterloch am nächsten war. Darunter hatte sie ein geschmiedetes Kreuz in das Stroh gestellt. Mit gefalteten Händen kniete sie davor und betete.
Der Kerkerwächter spuckte ins Stroh. »Eine Viertelstunde habt Ihr«, beschied er dem Mädchen.
»Bringt mir eine saubere Holzschüssel und einen Krug Eures Weins«, bat Columba ungerührt.
»Wein?«
»Den ich bei mir trug, beschlagnahmte der Torwächter.«
»Verflucht.«
»Hier habe ich Geld. Für Euren Wein wird es wohl reichen.«
Der Kerkermeister hielt die Münze ins Licht und rechnete flink aus, was ihm als Trinkgeld davon blieb. »Gut«, sagte er dann, »eine Viertelstunde also, der Wein kommt gleich.« Er verschloß den Kerker und verschwand.
Rebecca erhob sich von den Knien, pflückte Stroh von ihrem Gewand und lächelte traurig. Columbas Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt, sie lief auf die Tante zu und stellte den Korb ab. Eifrig begann sie zu plaudern. »Ich habe das fetteste Huhn geschlachtet, und wenn du nichts davon ißt, dann ...«
»Danke, Columba, du mußt mich nicht überreden. Ich habe einen guten Appetit und freue mich darüber.«
Verwundert schwieg die Nichte. Seit langem hatte nicht soviel Zuversicht und Kraft in Rebeccas Stimme durchgeklungen. Fast heiter wirkte sie in ihrer Ruhe. »Du wunderst dich über meine gute Verfassung?« erriet die Tante Columbas Gedanken. »Nun, mir selber war es zunächst fast unheimlich, wie gut es mir nach wenigen Tagen in diesem Verlies ging. Aber die Finsternis, das faulende Stroh, der Unrat, die Ratten sind nichts im Vergleich zu den schweren Wochen, den schrecklichen Nächten, die ich hinter mir habe. Gott meint es gut mit mir. Er schenkt mir täglich neue Kraft.« Sie setzte sich ins Stroh, schlug die Leinentücher über dem Korb zurück.
»Hast du den Vogel nach dem Kochen mit genau den Kräutern gefüllt, die ich dir angab?« fragte sie.
Columba nickte. »Sie stecken im Bauch, in einem leinernen Säckchen. Ich fand alle im Kräutergarten oder als Trockensträuße in dem Verschlag hinter dem Waschhaus.«
»Genau, wie ich es mir gedacht habe.«
»Außerdem fand ich dort ein Töpfchen Salbe. Ich habe es ebenfalls im Bauch des Tieres versteckt. Von wem stammen diese Dinge?«
Rebecca schüttelte lächelnd den Kopf, zum Zeichen dafür, daß sie es nicht sagen wollte. Dann zog sie das Säckchen und den Salbentiegel aus dem Vogel und löste dann mit geschickten Fingern einen Hühnerschlegel.
»Vorsicht!« warnte Columba. »Es war auch Bilsenkraut im Balg.«
»Keine
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