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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Bange, da du das Säckchen erst nach dem Kochen hineingesteckt hast, schadet es dem guten Fleisch nichts.« Herzhaft biß sie hinein.
    Der Wächter erschien mit Wein und Holzschüssel, erhielt von Columba eine weitere Münze und verabschiedete sich beinahe freundlich.
    Rebecca aß und trank mit großem Genuß. Als sie die Mahlzeit beendet hatte, wusch sie sich sorgfältig Gesicht und Hände. »Deine Besuche sind eine große Freude für mich, und deine kleinen Geldgeschenke an die Wächter bescheren mir täglich frisches Wasser und abends ein kleines Kohlebecken. Lange habe ich alle diese Dinge nicht mehr so genossen wie hier.«
    »Tante, wie kannst du nur so heiter sein? Ich freue mich zwar über deine Gelassenheit, aber es zerreißt mir das Herz, wenn ich daran denke, in welcher Lage du dich befindest. Dein Vorbild mag wahrhaft christlich sein, deine Geduld von Gott gegeben, aber wie kannst du deinem Prozeß, den Verhören, deinem ...« Sie unterbrach sich, um das Wort Tod zu vermeiden. »Wie kannst du so gefaßt sein? Es geht nicht an, daß du für ein Verbrechen büßt, das du nicht begangen hast. Wie du will auch ich nicht, daß man Juliana an den Richter liefert, aber daß du für sie stirbst, ist mehr, als der Herr verlangen könnte. Er will dieses Opfer gewiß nicht.«
    Rebecca hatte schweigend gelauscht. Mit großem Ernst schaute sie Columba an. »Ich gebe dir recht.«
    Keine Antwort hätte das Mädchen mehr in Erstaunen versetzen können. »Ich gebe dir recht und habe weder vor, den Tod durch die Hand des Henkers zu erfahren noch Juliana anzuklagen. Vertraue mir, mein Kind, ich bin gewappnet. Mögen sie nur mit dem Prozeß beginnen. Ich weiß nun, daß ich ganz und gar unschuldig bin.«
    »Aber, aber«, stammelte Columba verwirrt, »ich verstehe nicht. Denkst du an Flucht?«
    »O nein, das ganze Gegenteil. Ich werde standhalten. Ich werde mich dem Verfahren stellen, denn ich fürchte nichts.« Rebecca reckte entschlossen das Kinn, ein Lichtstrahl stahl sich durch das Fensterloch und beleuchtete ihr Gesicht.
    Columba las nichts als unerschütterliches Gottvertrauen und milde Heiterkeit in ihren Zügen. All das entsetzte sie, da sie annahm, Rebecca sei nun einem religiösen Wahn verfallen, der weit gefährlicher war als ihre Visionen: dem Wahn der Märtyrer.
    »Du willst also leugnen? Glaube nicht, daß sie darauf eingehen. Auf die Androhung des peinlichen Verhörs wird die Folter folgen. Du weißt, was das bedeutet. Die meisten gestehen bereits beim Anblick der Streckbank alle Verbrechen, derer man sie bezichtigt. Ein wahrer Bekenntnisrausch befällt sie. Oh, Tante, ich weiß, wie stark du bist, wie groß dein Glaube und Gottvertrauen sind, aber das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann. Und selbst, wenn du immer wieder deine Unschuld beteuerst ...«
    »Das habe ich nicht vor«, sagte Rebecca, und mit wachsendem Entsetzen entdeckte Columba nun den Schalk in ihren grauen, sanften Augen aufblitzen.
    »Liebe Tante!« rief sie entsetzt, doch Rebecca beachtete den Protest nicht.
    »Auch ich werde beim Anblick der Streckbank gestehen. Die Inquisitoren und die Schöffen, allen voran Galisius, werden ihre Freude an mir haben. Mehr als ihnen lieb ist.« Ihr schelmenhaftes Lächeln vertiefte sich bei diesen Worten.
    Bevor Columba eine weitere Frage stellen konnte, drehte sich rasselnd der Schlüssel des Kerkerwächters im Schloß. Vom Dom her erklang der Glockenschlag zur zwölften Stunde. Mittagszeit. Der Kerkerwächter war nicht gewillt, seine fällige Mahlzeit noch weiter hinauszuschieben, und Columba hatte kein Geld mehr bei sich, um ihn von diesem Entschluß abzubringen.
    Widerwillig verließ sie das Gefängnis und kehrte zum Konvent zurück. Anna, die Schaffnerin, trat eben mit einem Bündel ihrer persönlichen Habseligkeiten aus dem Hof. »Dein Vater schickte mir Nachricht«, sagte sie, so hochmütig und herablassend lächelnd, daß Columba ihr am liebsten eine Ohrfeige versetzt hätte. »Er bittet mich, sein Gast zu sein, da der Konvent sicher bald aufgelöst wird. Seine Einladung an mich ist eine großzügige Geste, nie hätte ich mit solch einer Ehre gerechnet.«
    Ihr Grinsen verriet, daß das Gegenteil der Fall war. Sie griff nach dem Arm des Mädchens. »Komm am besten gleich mit mir, mein Kind.«
    Columba riß sich los. »Ich bin und bleibe Begine!« rief sie wutentbrannt, betrat den Hof und warf das Tor zu. Es schloß sich mit dumpfem Poltern.
    Anna zuckte mit den Achseln. Das lästige Mädchen würde

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