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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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bald keine andere Bleibe als das Haus ihres Vaters mehr haben. Sicher würde in Kürze die Nachricht des Erzbischofs eintreffen. Damit war ein Teil ihrer Abmachung mit dem Kaufherrn erfüllt. Blieb noch der Prozeß von Rebecca. Wenn der erst beendet ist, dachte Anna mit wachsender Befriedigung, bin ich nicht mehr auf die Gastfreundschaft des Herrn van Geldern angewiesen. Aber immerhin, sein Haus war keine schlechte Unterkunft.
    Sie sah das Schlafzimmer der verstorbenen Frau Katharina vor sich. Die juwelenbesetzten Spiegel, den hohen Kamin, das geschnitzte Bett, die Brokatvorhänge. Nein, keine schlechte Unterkunft, und warum sollte sie eigentlich nicht mehr als nur Gast in van Gelderns Haus sein? Rebeccas Geld – von dem sie wußte, daß sie bald im Überfluß davon besitzen würde – war tatsächlich nicht alles. Ihre Erwartungen an das Leben waren schon immer hochgespannt gewesen. Nun, da die Erfüllung so greifbar nah war, hielt sie die lange gehegten Wünsche für fast schon bescheiden. Was sprach noch dagegen, nun nach der Ehre, dem Ansehen und dem Stand einer Ehefrau zu streben? Der Ehefrau des mächtigen Kaufherrn van Geldern. So übel sah er für sein Alter nicht aus. Überhaupt, sein Alter. Gerade das erhöhte den Reiz des Gedankens beträchtlich. Wie berauscht atmete Anna die milde Luft des sonnigen Nachmittags ein. Wie schön der April sein konnte – und wie trügerisch.
    5
    S chau, was ich hier habe.« Don Seraph hielt nacheinander eine pelzgefütterte Schaube, eine phantastisch geschlitzte kurze Pluderhose, ein brokatenes Wams mit gepufften Ärmeln und ein Paar Stulpenstiefel hoch. Wie ein übermütiger Marktschreier pries er die kostbaren Kleidungsstücke an.
    Lazarus verfolgte alles mit einem Lächeln. Aufrecht saß er im Bett, ein wenig bleich noch, aber wieder bei Kräften. Unter Tringins Pflege verheilte seine Wunde erstaunlich gut, wenn auch das Sprechen ihm noch Mühe bereitete.
    »Ich mache dich zu meinem Stellvertreter, Lazarus. Du sollst mein erster Werbehauptmann und im Feld mein Leutnant sein. Einen Besseren kann ich nicht finden. Nun, was sagst du? Wir werden eine großartige Zeit haben.«
    Tringin, die neben dem Krankenlager saß und aus Leintüchern frische Binden schnitt, warf Lazarus einen erwartungsvollen Blick zu. Dessen Lächeln verblaßte, sein Gesicht wurde ernst.
    »Lieber Don Seraph, es schmerzt mich, dich enttäuschen zu müssen, aber ich kann nicht mit dir reiten.«
    Don Seraph warf die Stiefel zur Seite, als handele es sich um widerwärtigen Plunder. »Was redest du da? Alles ist abgemacht. Heute erhielt ich Nachricht aus Brüssel, die Generalstatthalterin Margarethe von Parma wünscht uns zu sehen. Sie wird bereits Aufträge haben.«
    Lazarus richtete sich weiter auf seinem Lager auf. »Ich kann nicht mit dir nach Brüssel, Don Seraph. Ich muß nach Köln zurück.«
    Tringin stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. »Du hast nicht einmal das Geld, um dir Brot für die Reise zu kaufen«, murmelte sie warnend. Lazarus beachtete sie nicht. »In zwei Tagen hoffe ich wieder reiten zu können, dann bin ich fort.«
    Die Miene des Feldhauptmanns verfinsterte sich. »Was willst du in Köln? Noch dazu ohne einen Heller in der Tasche. Denk an die satten Städte Flanderns, an die reiche Beute, die wir machen werden, wenn erst der Aufstand losbricht. Wir werden uns die Taschen füllen.«
    »Du vergißt, daß du von meiner Heimat sprichst«, warf Lazarus ein, »mir steht nicht der Sinn danach, meine eigenen Landsleute zu plündern und zu brandschatzen.«
    »Landsleute! Unsinn, es geht nur gegen die calvinistischen Aufrührer. Irregeleitete Schwärmer, die jede Ordnung auf den Kopf stellen und grausame Tyrannei üben, wenn sie erst einmal an der Macht sind. Ich dachte, gerade du hast genug davon. Denke an Genf. Was war denn das für ein Gottesstaat, der dir den Vater nahm?«
    Lazarus schwieg einen Moment und atmete langsam, um seine Lungen zu kräftigen. »Du irrst dich, Don Seraph, wenn du mir Rachedurst unterstellst. Rache ist ein schlechtes Geschäft. Ich will damit nichts weiter zu schaffen haben. Und noch einmal: Ich kann nicht gegen meine Landsleute kämpfen.«
    Verblüfft ließ der Söldnerführer sich in einen Lehnstuhl beim Kamin fallen. »Früher war es dir ganz gleichgültig, wer unser Feind war. Du warst ein Abenteurer wie ich, kein Unternehmen war dir waghalsig genug, keine Gefahr zu groß. Und war es nicht eine spanische Uniform, die du zuletzt getragen hast? Beim

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