Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Gott ihr nur gnädig sein, und Fritjof vor der Zeit dahinraffen als gerechte Strafe für übermäßiges Essen und Trunksucht.
Bei diesem Gedanken schöpfte Juliana Hoffnung. Auf seinem Landgut bei Dordrecht würden die fetten Aalpasteten, das geröstete Schweinefleisch, kaltes Bier zum Frühstück und fetter Hammel zur Nacht nie ausgehen. Ja, sie würde seine Völlerei fördern. Auch darum, weil das Essen und der Wein ihm von allen leiblichen Genüssen die liebsten zu sein schienen. Sie würden ihn über die Sprödigkeit hinwegtäuschen, die Juliana noch in der Hochzeitsnacht zu ihrer hervorstechendsten Eigenschaft machen würde. Sie gab sich einen Ruck und lief – mit entzückter Stimme seinen Namen rufend – auf den Freiherrn zu.
»Wie schön, Ihr habt mich nicht vergessen«, sagte sie, als sie ihn erreichte und ihm die zarte Hand zum Kuß entgegenstreckte. Der Junker stutzte kurz, dann preßte er ungeschickt seinen Mund darauf. Wieder dachte Juliana an Kröten und entwand ihre schlanken Finger seiner derben Pranke.
Fritjof runzelte unzufrieden die Stirn.
»Wie herrlich männlich Ihr heute morgen wieder ausseht«, beeilte sie sich ihre vorschnelle Geste wieder gutzumachen, »das Jägergrün Eurer Hosen, dazu das rotgewürfelte Wams – Ihr seid ein Mann von vortrefflichem Geschmack.«
Der Junker schaute an sich herab, streckte eitel ein Bein vor. »Fürwahr, und was sagt Ihr zu den Stiefeln?« Gelb waren sie und machten aus dem Flamen genau den Gecken, der er war.
»Wie wäre es mit einem Gang durch den Garten, dann könnt Ihr ihren Sitz genau überprüfen«, schlug Juliana vor.
»Lieber wäre mir ein hübscher Ritt vor die Mauern oder auf den Neumarkt. Wie ich hörte, üben sich dort heute die Schützenbruderschaften. Ein Büchsenmacher erzählte mir auch von einem neuartigen Luntenrohr, das man ausprobieren will. Eine Muskete, die nicht mehr mit dem Haken auf der Schulter verankert wird, um den Rückstoß abzufangen, sondern die, auf eine Metallgabel gestützt, abgefeuert wird. Und ...«
Weiter langweilte der Freiherr die schöne Tochter des Kaufherrn, bis sie ihn endlich unterbrach. »Ich liebe es, wenn Männer so ganz den Waffen, der Jagd, dem Kampf zugetan sind. Aber Ihr versteht sicher, daß eine zarte Weibsperson wie ich den Pulverdampf, das Sausen der Kugeln, den Knall der Schüsse kaum zu ertragen weiß. Hingegen würde ich Euch sehr gerne ein wenig mild und zärtlich stimmen. Kommt in den Morgensaal, und ich spiele die Laute für Euch. Für Euch ganz allein.«
Sie begleitete den letzten Satz mit einem aufreizenden Augenaufschlag und ahnte nicht, wie wenig sie mit ihrem Angebot zum Wohlbefinden des Mannes beitrug. Als er sich wand und ungeschickt nach Ausreden suchte, glaubte sie, den dummen Kerl mit ihrer gewandten Art, ihrer zierlichen Rede und ihrer sanften Schönheit so vollkommen betört zu haben, daß er seiner fünf Sinne nicht mehr mächtig war.
Spielerisch strich sie mit den Händen über den Brunnenrand, wohl wissend, wie zart und weiß ihre feingliedrigen Finger sich gegen den rauhen Ziegel ausnahmen. Sie summte leise und schaute träumerisch in den Brunnenschacht hinab. Als sie sich wieder zu ihrem neuerkorenen Freier umdrehte, war der jedoch verschwunden. Zorn umwölkte ihre Stirn. Mit lauter, ungeduldiger Stimme rief sie nach Melina.
Im ersten Stockwerk des Hauses wurde ein Fenster zugeschlagen. Mertgin trat in das Kontor des Kaufmannes zurück. Ihr gefiel, was sie gesehen hatte. Nein, der Freiherr war noch nicht für Columba verloren. Feste Schritte ließen sie zusammenfahren. Arndt van Geldern öffnete die Tür und entdeckte die Magd. Doch zu ihrer Verwunderung blieb sein Gesicht freundlich.
»Mertgin!« rief er ganz aufgeräumt. »Soeben traf gute Nachricht ein. Aus Bonn.«
»Bonn?«
Der Kaufmann nickte, warf einige Papiere auf seinen Schreibtisch und rieb sich vergnügt die Hände. »Der Konvent Rebeccas wird noch heute abend aufgelöst. An den Rat ist Befehl und Erlaubnis ergangen, das Gehöft zu verklaustern und alle Bewohnerinnen nach Hause oder in das Armenspital Ipperwald zu verbringen. Columba wird in dieses Haus zurückkehren.«
Mertgin schlug die Hände vor ihr Gesicht, lachte, weinte, besann sich endlich. »Ich werde mit einem Knecht zum Konvent eilen und sie holen, wenn Ihr es erlaubt.«
»Ich befehle es sogar. Meine störrische Tochter bringt es soweit, sich mit den anderen grauen Weibern in das Armenspital zu begeben.«
Mertgin zögerte nicht länger und
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