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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Finsternis. Dann fiel sie kraftlos auf die Knie, stützte sich mit den Händen im Kot der Straße auf und erbrach sich erneut. Es mußte die Frucht eines Teufels sein, die da in ihrem Schoß wuchs, die sie niederzwang in diesen widerwärtigen Schmutz. Ein heiserer Ruf ließ sie aufhorchen, gedämpftes Trappeln von Hufen. Sie war zu schwach, um sich zu erheben, sie war zu schwach, um Schutz zu suchen.
    Anna kam indes munter voran. Seit sie Juliana abgeschüttelt hatte, wuchs ihr Selbstvertrauen. Sie würde ein leichtes Spiel haben. Vor Columba war ihr nicht bange, sie war stärker als das gewiß entkräftete Mädchen, und sie würde sie im Schlaf überraschen. In der Tasche trug sie außerdem ein Messer, von dem sie im Falle des Widerstandes Gebrauch machen würde. Eine gezielt beigebrachte Wunde, ein einziger Stich würde genügen, um das Mädchen kampfunfähig zu machen. Van Geldern würde es ihr zu danken wissen – danken müssen.
    Sie lächelte, während sie den mächtigen Turm von St. Severin vor sich aufragen sah. Rechterhand lag das Karthäuserkloster mit seinen riesigen Gartenanlagen, kurz davor der ausgedehnte Weingarten van Gelderns. Sie zog den Schlüssel zum Tor hervor, überquerte die Straße und ließ sich in den Garten ein. Mit zusammengekniffenen Augen spähte die Begine in die Nacht, die Fackel nach allen Seiten hinstreckend. Endlich entdeckte sie die dunklen Umrisse eines kleinen Gebäudes. Das mußte es sein. Mit leisen Schritten näherte sie sich dem Kelterhaus.
    Derweil wurden auf dem Waidmarkt, wo Juliana noch immer bei der Pfütze kauerte, die Stimme und ein Huftrappeln immer lauter. Endlich konnte sie die Rufe des Mannes unterscheiden. Es war einer der Kölner Nachtwächter, der die Stunden ausrief und die Leute anwies, in ihren Häusern zu bleiben.
    Juliana blieb bei dem schmutzigen Loch hocken. Sie hatte keine Kraft mehr, sich zu verbergen, sollte der Mann sie nur finden, nach Hause bringen, nur weg von diesem stinkenden Ort.
    »Holla, wer ist da?« rief sie nun der Reiter an. Er schien sein Tier vorsichtig durch die Landschaft aus Mistbergen und Zintherschrott zu lenken.
    Juliana hob vorsichtig den Kopf. Der Schein einer Laterne blendete sie. »Was macht Ihr hier, zu so später Stunde?« fragte der Nachtwächter streng und saß ab. Bald stand er vor ihr und musterte prüfend ihr Gesicht, ihr verschmutztes Gewand. »Ihr seid ein Fräulein von Stand, wie ich sehe. Was habt Ihr hier zu schaffen?«
    Juliana schluckte, sie mußte eine gute, eine sehr gute Antwort finden, um nicht den ernsthaftesten Verdächtigungen ausgesetzt zu sein. Immer wieder munkelte man zu Köln von gelangweilten Bürgerstöchtern, die sich nachts heimlich aus dem Haus schlichen, um ein Stelldichein mit einem Liebhaber oder gar einem reichen Freier zu genießen. Gerade jetzt, in ihrem Zustand, durfte sie nicht den Schatten eines solchen Verdachts auf sich lenken. Fieberhaft und verzweifelt arbeitete ihr Gehirn, dann formte sich ein häßlicher Gedanke in ihr, wie ein wilder Hund sprang er sie an. Bevor sie ihn zu Ende gedacht hatte, sprach sie schon. »Guter Mann, ich suche meine Schwester, von der ich fürchte, daß sie an einem geheimen Konventikel nahe der Severinstraße teilnimmt.«
    Der Mann räusperte sich. »Ein Konventikel? Schon wieder. Ich dachte, die Stadt hätte erst vor zwei Monaten diesen elenden Ketzern einen so ordentlichen Streich versetzt, daß Ruhe herrscht. Verfluchtes Pack, wie die Ratten sitzen sie in allen Löchern!«
    Juliana streckte ihm die Hand entgegen. »Wie froh ich bin, daß ich Euch traf. Ich bin ein viel zu schwaches Weib, um mich auf ein solches Abenteuer einzulassen. Aber ich wollte alles versuchen, um meine Schwester zu retten, ihre Seele vor weiterer Verführung zu schützen.«
    Das Pferd des Mannes begann unruhig zu schnauben. Beruhigend strich er über dessen Nüstern, dann wandte er sich wieder an die Frau, die er vor sich hochgezogen hatte. »Sagt mir Euren Namen, und ich werde überlegen, was zu tun ist.«
    »Mein Name ist Juliana van Geldern.«
    »Van Geldern?« stieß der Mann verwundert hervor. »Eine Tochter jenes van Geldern der bei Sankt Alban wohnt?«
    »Eben der.«
    »Und Ihr sagt, Eure Schwester hat mit Ketzern zu schaffen?«
    »Ich fürchte, so ist es. Bereits im letzten Sommer griff man sie während einer Versammlung von Wiedertäufern auf. Der Gewaltrichter kann es Euch bestätigen. Damals schwor sie auf alle Heiligen unserer Stadt, nichts mit den Wiedertäufern zu

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