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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Dorniges Gestrüpp schlug ihr entgegen, zerkratzte ihr Gesicht. Schützend legte sie ihren rechten Arm davor und bog das Geäst beiseite. Der Geruch von totem Laub und frühlingsfeuchter Erde stieg ihr in die Nase. Mit gebeugtem Rücken kämpfte sie sich durch das dichte Heckenwerk und erreichte endlich den Gartengrund. In geraden Reihen erhoben sich im letzten Dämmerlicht die von Gärtnern frisch gestutzten Weinstöcke vor ihren Augen. Sehnsüchtig dachte sie an Septembertrauben, während sie durch eine Rebengasse zum Kelterhaus schlich. Es war ein gemauertes Haus, das ihr wenigstens Schutz vor Kälte und Regen bot.
    Sie wickelte den Stoff ihres Umhangs um ihren rechten Arm, winkelte ihn an und zerstieß mit aller Kraft eines der Glasvierecke, aus der die Fensterscheibe zusammengesetzt war. Sie langte mit der Hand hinein, schob den Riegel hoch und stieß die Fensterflügel auf. Dann stemmte sie sich am Sims hoch, kletterte behende hinauf und schwang sich in den Raum. Wieviel Freude ihr ein solches Abenteuer noch im vergangenen Sommer bereitet hatte! Sie stieß ein verächtliches Schnauben aus. Kindischer Unsinn.
    Suchend blickte sie sich in dem dunklen Kelterraum um. Bottiche, Pressen und Fässer waren nur noch in ihren Umrissen zu erkennen. Ein säuerlich stechender Geruch lag in der Luft. Vorsichtig durchquerte sie den Raum, stieß eine Tür auf, die in eine kleine Kammer führte, in der die Gärtner ihre Geräte verwahrten und an einem kleinen Tisch ihre Mahlzeiten einnahmen. Man hatte bereits gelüftet, die Geräte geordnet und alles für die Frühjahrsarbeiten vorbereitet.
    Columba entdeckte einige Talglichter, Zunderschwamm, Kienspan und Schwefel. Es dauerte lange, bis ihre ungeübten Hände eine Flamme erzeugt und damit den Docht eines Talgschälchens entzündet hatten. Das Licht bereitete ihr Freude, und sie faßte wieder ein wenig Mut. Flackernde Schatten tanzten auf den gekälkten Wänden des Raums, und so unheimlich sie einem Ängstlichen hätten erscheinen müssen, so belebend wirkten sie auf ein Mädchen wie Columba.
    Nachdem sie eine Weile, auf einem Schemel hockend, das Flammenspiel beobachtet hatte, machte sie sich auf die Suche nach etwas Eßbarem. Im Kelterraum fand sie einige fest versiegelte Krüge Wein – der von einem Gärtner heimlich abgezweigte Anteil an der letzten Ernte, wie sie annahm. Immerhin besser als das Wasser aus dem Gartenbrunnen, von dem niemand wußte, wie gefährlich es vielleicht war.
    Erfrischt vom Wein durchstöberte Columba einige Transportkisten, die achtlos in der Ecke aufgetürmt waren, um später als Brennholz zu dienen. Sie fand nichts darin außer einem Rattengerippe und einigen langbeinigen Spinnen. Seufzend gab sie die Suche auf und richtete sich im Nebenraum ein Lager aus leeren Säcken her. Der Hunger war ihr ärgster Feind. Sie wußte es. »Trotzdem. Ich gehe nicht zurück«, sagte sie entschlossen, schlug ein Kreuz und legte sich nieder. Der Wein tat seine Wirkung, bald schlief sie fest und friedlich.
    Weniger friedlich ging es im Hause ihres Vaters zu, wo Columba wieder einmal Gegenstand des Gesprächs zwischen Freiherr und Kaufmann war.
    »Ich will mich nicht länger gedulden! Eure Versprechen taugen nichts.« Die greinende Stimme des Freiherrn verfolgte den Kaufmann bis in sein Arbeitszimmer. Voll Wut warf der dem künftigen Schwiegersohn die Tür vor der Nase zu, schob den Riegel vor und beendete so das leidige Gespräch mit dem lästigen Mann.
    Der Junker stand noch eine Weile klagend im dunklen Korridor. Nein, so wollte er sich nicht wieder abspeisen lassen. Zum zweiten Mal war er genarrt worden. Die Braut verschwunden! Am besten war es, nach Hause zu reiten, einen Advokaten mit der Sache zu befassen und van Geldern wegen des gebrochenen Heiratsversprechens zu verklagen, um endlich Mitgift und vielleicht ein Bußgeld dazu einzustreichen. Sollte doch ganz Köln über den Kaufherrn und dessen widerspenstige Tochter lachen. War das seine Angelegenheit? »Nein!« stieß der Junker hervor und schüttelte heftig den Kopf, als ihm von hinten eine Hand am Ärmel zupfte. Erschrocken fuhr Junker Fritjof herum.
    »Verzeiht«, sagte Mertgin und zuckte unter dem zornigen Blick des Mannes zusammen. »Verzeiht, aber ich brauche Eure Hilfe.«
    »Hilfe?« entgegnete der Freiherr empört. »Was sollte ich einer Magd zu helfen haben?«
    Mertgin blickte sich verstohlen um, dann trat sie flüsternd an ihn heran. »Es geht um Columba.«
    »Co ...«
    »Psst. Nicht hier, kommt

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