Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
trotzig sie ist, und ich fürchte um sie. Denkt nur an ihre Tante Rebecca, der sie mit so großer Liebe anhängt. Eine Ketzerin! Eine Mörderin. Columba muß aus Köln fort, sonst wird es ihr Verderben sein.«
»Nun, wo verbirgt sie sich also?«
»Im Kelterhaus bei der Severinstraße. Im Weingarten des Vaters.«
Van Ypern wollte eben zu einer Antwort ansetzen, als das Rasseln eines Schlüssels ertönte.
»Was ist das?« fragte er verdutzt und blickte zur Kapellentür. Im gleichen Moment wiederholte sich das Geräusch auf der anderen, zur Kirche hin gelegenen Seite der Kapelle.
Alarmiert erhob sich Mertgin aus der Bank, drängte den Freiherrn zur Seite. Sie lief erst zur einen, dann zu der anderen Tür, rüttelte an den Riegeln, dann drehte sie sich mit entsetzt geweiteten Augen zu dem Flamen um. »Man hat uns eingesperrt. O mein Gott, alles ist verloren! Wir sind verraten.«
»Von wem redest du, altes Weib?«
5
J uliana traf Anna, die Schaffnerin, vor dem Portal von St. Alban. »Nun?« flüsterte Anna, »hast du gehört, was Mertgin sagte?«
»Ja, im Kelterhaus hat sich meine Schwester versteckt. Hier ist der Schlüssel zum Garten.«
Die Schaffnerin griff danach und ließ ihn in ihrer Tasche versinken, dann sagte sie: »Wir müssen Columba holen, bevor der Morgen dämmert und man die beiden in der Kapelle entdeckt. Rasch.«
Juliana hielt sie beim Ärmel zurück. Mißtrauisch fragte sie: »Was meinst du damit, wir müssen sie holen? Du weißt, wie unsere Abmachung lautet. Columba muß aus dieser Stadt verschwinden, damit ich den Freiherrn heiraten kann. Ich habe Geld genug bei mir, damit ihr euch beide eine Schiffspassage den Rhein hinab kaufen und zum Beginenhof in Brügge reisen könnt.«
Anna riß sich los. »Gewiß, gewiß«, sagte sie ungeduldig und spähte die nächtliche Gasse hinab. »Nehmt die Fackel dort, die Wolken verhüllen den Mond, es ist so finster, daß man die Hand vor Augen nicht sieht.«
Juliana fühlte, wie Empörung in ihr hochstieg. Was wagte dieses elende Weibsbild, ihr Befehle zu erteilen? Der Lohn, den sie der armseligen Begine für ihre Mithilfe versprochen hatte, war groß genug, und hatte sie nicht sogar freiwillig ihre Hilfe angeboten? »Um der lieben Columba, die mir sehr ans Herz gewachsen ist, weitere Unbill zu ersparen und ihr ein friedvolles Leben in klösterlicher Abgeschiedenheit zu ermöglichen«, hatte sie gesagt.
Wohin war diese fromme Demut jetzt?
»Du trägst die Fackel!« sagte Juliana schroff. Anna kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern lief los.
Ärgerlich riß Juliana die Fackel aus der Eisenhalterung beim Kirchentor und folgte ihr. Beim Hohlweg in der Höllen holte sie die Begine ein, sie tauchten hinab in den tief eingeschnittenen, lichtlosen Pfad, der zu einer Sandgrube führte. Endlich bogen sie in die Gasse der Wappensticker ein, Teil jener Straße, die seit den Tagen der Römer Köln von Süd nach Nord durchzog und im Süden in der Severinstraße endete.
Dank der zurückliegenden regenfreien Tage waren die Straßen trocken und die Überreste römischer Straßenpflasterung erlaubten ein rasches Fortkommen. Lediglich der immer feuchte Waidmarkt mit seinen stinkenden Abfall-Pfuhlen bildete ein Hindernis, das sie viel Zeit kostete. Juliana kämpfte gegen Übelkeit an, als sie durch Schlamm watete und der süßliche Geruch von Verwesung ihr verriet, daß hier allerlei Kadaver verrotteten. Anna hingegen bekümmerten die pestilenzischen Ausdünstungen nicht weiter. Sie hatte nur ein Ziel vor Augen: Sie wollte Columba finden und in das Haus des Vaters zurückholen. Lediglich diese dumme Juliana war ihr dabei lästig. Die hatte ihre Rolle brav gespielt und sie zur Kapelle gebracht, wohl wissend, daß Mertgin sich verraten würde. Juliana war gewiß nicht dumm, aber ihre eigene Not machte sie blind gegenüber den Absichten und Interessen anderer.
Anna warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah, wie Juliana vorsichtig ihre Röcke lupfte, um über eine Abfallgrube zu springen. Doch im letzten Moment schien ihre Kraft zu versagen, sie neigte die Fackel, griff sich mit der Linken an den Mund und erbrach sich heftig. Anna ergriff die Gelegenheit, eilte zu der geschwächten jungen Frau und entriß ihr die Fackel. Juliana wehrte sich nicht, sondern erwartete Hilfe. Die Begine aber verschwand mit eiligen Sprüngen in der Dunkelheit.
Hilflos und elend sah Juliana dem Leuchten der Fackel nach, bald war es nur noch ein winziger Lichtpunkt inmitten von
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