Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
Vom Netzwerk:
Überhaupt, dein Aufzug, und was ist das an der Stirn?« Rebecca schob Columba das Haar aus dem Gesicht. »Das ist ein böser Schnitt«, stellte sie mehr sachlich als mitfühlend fest. »Komm jetzt, ich werde dir ein Flachspflaster auflegen.« Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch und tat dem Mädchen seltsam wohl. Welch eine Erleichterung es wohl wäre, mit Rebecca über Tringin zu sprechen. Prüfend musterte sie die Frau in der frommen Tracht. Würde sie verstehen? Sie war immer sanft und dabei doch unbestechlich. Sie war der eigenen, verwirrten Schwester von Herzen zugetan, duldsam und dabei doch scharf im Verstand. Columba schätzte Rebecca, wenngleich sie deren völlige Hinwendung zum frommen Leben nicht begriff.
    Wußte Rebecca etwas vom Evangelium der wahren Barmherzigkeit? Verfluchter Spanier. Columbas Stirn verfinsterte sich. Rebecca faßte sie entschlossen bei der Hand. Columba gefiel es, sie ließ sich wegziehen wie ein Kind. Kind? Das Mädchen ließ die Hand der Tante fahren. Nein, sie war kein Kind mehr!
    »Ich habe keine Schmerzen, ich kann alleine gehen.«
    »So?« Rebecca hob tadelnd die Augenbrauen. »Ich möchte meinen, du bist heute genug alleine herumgelaufen, und das, obwohl du längst gebadet und für das Fest gekleidet sein solltest.«
    »Das Fest! Oh, Rebecca, bitte, bitte, sag dem Vater, daß ich krank bin, daß ich leide, daß ich nicht erscheinen kann. Oder male es ihm als schreckliche Strafe für eine ungehorsame Tochter aus, wenn er mir das Fest verbietet, nur laß mich nicht auf das Fest gehen.« Flehend schaute sie zu der Tante auf.
    »Und du willst kein Kind sein.« Wieder dieser Satz. Nein, sie war kein Kind, aber sie wollte in keinem Falle zu dem Fest. Alles daran war ihr widerwärtig, die Musik, die Fröhlichkeit, der Tanz. Nicht heute. Und dazu überall spanisch Uniformierte. Obwohl – er würde gewiß nicht darunter sein. Er war ja nur ein falscher Spanier. Wo er wohl die Gewänder herhatte? Wahrscheinlich war er nichts als ein gewöhnlicher Dieb. Gab es unter Dieben auch schon Ketzer?
    »Anna, das ist Columba, sie ist die zweite Tochter meines Schwagers van Geldern.«
    Ohne Interesse blickte Columba in das Gesicht der zweiten Begine. Eine hübsche, dralle Frau mit häßlichem Wolfsgrinsen. Ihr Knicksen beantwortete Columba mit dem flüchtigen Senken ihrer Augenlider. Was fand ihre Tante nur an der Gesellschaft solch armseliger, dummer Weiber? Es mußte eine Strafe sein, mit ihnen zusammenzuleben.
    13
    E in Spanier, ausgerechnet ein Spanier. Mit unbewegter Miene verfolgte van Geldern den Bericht des Spitzels. »Er packte sie und führte sie fort, während die Elenden auf dem Ketzerkarren verbotene Gesänge anstimmten. In den Niederlanden wäre allein der Gesang Anlaß genug gewesen, sie alle zu richten, zu brennen, die Frauen lebendig zu begraben. Wer dort im Trünke ein Heiligenbild schief anschaut, dem rösten sie einen Tag später die Füße.«
    Der Dürre in Schwarz verlor sich in Schilderungen spanischer Inquisitionsurteile, zählte mit schnarrender Stimme auf, was man sich von den Greueln dieses Instruments erzählte. Er sammelte solche Gerüchte – und Gerücht war vieles davon –, als handele es sich dabei um außergewöhnliche Schmetterlinge. Er konservierte sie, spießte sie in seinem Gedächtnis auf und führte seine Sammlung gerne vor.
    »Weiter«, unterbrach der Kaufmann den Schwärmenden scharf. Sein Spitzel verstand – ein schmiegsamer, biegsamer Kerl, den sein Eifer auszeichnete. »Er führte sie fort, ich fürchtete bereits um das Leben Eurer Tochter, ein so ungewöhnliches Kind, so ungestüm und so reizvoll, dabei klug, eine echte van Geldern.« Der Kaufmann stieß einen knurrenden Laut aus. Ein Schmeichler konnte auch zu weit gehen. Rasch beeilte sich der Dürre, seinen Bericht abzuschließen. Van Geldern schwieg und schob die Kugeln eines Rechenbretts hin und her.
    »Sein Name?« fragte er endlich ohne aufzublicken.
    Sein Gegenüber suchte mit flitzenden Augen die dunklen Ledertapeten des Kaufherrnbüros ab, so als wäre der Name des Mannes dort vermerkt. Die blinkende Rüstung eines Ritters fing seinen Blick ab. »Ich«, er schluckte und atmete den trockenen Staub der Akten, »ich weiß ihn nicht.«
    »Wofür bezahle ich dich, Kerl?« Van Geldern richtete sich in seinem hohen Stuhl auf.
    »Ich verlor seine Spur bei der Hohen Straße, ein umgefallener Gemüsekarren, Geschrei, das Gedränge so groß, unmöglich, unmöglich.« Kläglich brach er ab.
    »Nun,

Weitere Kostenlose Bücher