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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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spöttischem Gesicht wandte Anna sich ab.
    »Meister Sechsschneider, seid Ihr am Ende dem Aberglauben verfallen?« meinte Rebecca lachend. »Die Kirche sieht so etwas nicht gern, wie Ihr wißt.«
    Der Apotheker zuckte die Achseln und zitierte munter: »Imaginatio facit casu, die Einbildung macht krank. Ich sage, sie kann auch heilen und helfen.«
    »Nicht bei der«, murmelte Anna boshaft.
    Ihre Meisterin beachtete sie nicht. »Habt Dank für Eure Mühe. Ich werde es mitnehmen, doch nun brauche ich noch ...« Sie nannte in knappen Worten ihre Wünsche Der Apotheker öffnete Gläser, füllte Kräuter mit zierlichen Schäufelchen in Leinensäckchen, wog ab und rechnete.
    »Das dürfte reichen, werte Rebecca. Ich muß sagen, Ihr versteht Euch auf die Arzneikunst besser als mancher Medicaster und sogar einige Doctores von unserer Universität, die an den Betten der Kranken trefflich disputieren, bis ihr Casus verröchelt ist. Die Weiber und Greise Eures Viertels nennen Euch eine Heilige, weil Ihr das Leid so vieler lindert.«
    Anna biß sich auf die Lippen, Zorn stieg in ihr hoch: Heilige! Auch das noch. Wie oft hatte sie sich nun schon die Lobgesänge auf die Künste der Magistra anhören müssen. Nur weil sie ein paar lächerliche Kräutergeheimnisse kannte. Sie selber war auch bewandert, ihre Jahre zwischen Gesetz und Straße hatten sie vieles gelehrt, von dem die Magistra keinen Schimmer hatte. Genausowenig wie von dem Grund für ihre merkwürdigen Träume der letzten Nächte. Wie dumm diese Frau war, wie blind! Wie einfach war es, sie für all ihre Überheblichkeit zu bestrafen – und doch noch immer unbefriedigend.
    Rebecca hob indessen abwehrend die Hände. »Sprecht nicht davon, Ihr wißt, wie nah das Heilige im Glauben des Volkes beim Teuflischen liegt. Eine mißlungene Medizin, und man würde mich als Hexe verdammen.«
    Der Apotheker nickte seufzend. »Wie recht Ihr habt. An einem Tag rennen sie zu einer Gleisnerin, die behauptet, ihnen die Liebe herbeizaubern zu können, am nächsten Tag rennen sie zum Gewaltrichter und zeigen dieselbe Frau an, weil der Ehemann sich nicht eingestellt hat. Wenn ich Euch nun noch etwas für Euren werten Schwager empfehlen darf?«
    Rebecca runzelte gegen ihren Willen die Stirn.
    »Nein«, der Apotheker lachte, »nichts von toten Hunden. Ein einfacher Ratschlag nur. Gegen sein Blasenleiden. Gebt glühende Kieselsteine in Wein und laßt ihn das langsam trinken, der kurfürstliche Leibarzt verriet mir das Rezept. Womit es völlig unverdächtig ist, nicht wahr?«
    Ketzerei und abermals Ketzerei, dachte Anna. Was wagten die zwei nur für einen freimütigen Ton und trugen dabei die Mienen von selbstgerechter Frömmigkeit. Einfache Leute wie sie würde man für solche Worte ins Halseisen legen oder gar brennen, aber diese eingebildeten Leute aus gutem Hause kamen ungeschoren mit den ärgsten Blasphemien davon. Wie ungerecht die Welt war. Wut drückte ihr die Kehle zu.
    Rebecca neigte voll Grazie ihr Haupt. »Ich danke für den Rat.«
    »Mit gutem Grund, er ist nämlich kostenlos.« Der Apotheker lachte und freute sich an seinem Scherz. Die Frauen verabschiedeten sich.
    Nach einigen Schritten räusperte sich Anna. »Wegen der Fruchtbarkeitsarznei ...«
    »Ja?« Ihre Begleiterin hob unwillig den Kopf.
    »Nun, ist es nicht ein Frevel, daß ausgerechnet du, eine Begine ...«
    Weiter kam sie nicht, ein erstaunter Ausruf Rebeccas unterbrach sie.
    »Columba!« Rebecca drückte der Schaffnerin ihre Einkäufe in den Arm und eilte auf die gegenüberliegende Seite des Marktplatzes. Die Apfelweiber und Butterhändlerinnen schüttelten mißbilligend den Kopf über die hübsche Begine mit den fliegenden Röcken. Anna betrachtete angewidert die Pakete in ihrem Arm, doch plötzlich schlich sich ein kleiner, böser Gedanke in ihren Kopf. Warum Rebecca nur ärgern, warum nicht ... Angestrengt dachte sie nach und bot den Marktweibern das trügerische Bild innerer, weitabgewandter Einkehr.
    Atemlos erreichte Rebecca die andere Seite des Platzes und stürzte auf die Gestalt im schwarzen Umhang zu, die sich interessiert über die Körbe eines Süßkrämers beugte. »Columba!«
    Das Mädchen drehte sich um, die Backen voll und heftig kauend. Beim Anblick der Tante begann sie zu schlucken.
    »Columba, was machst du hier? Mertgin ist in heller Sorge um dich, dein Vater aufgebracht ...«
    »Wann wäre er das nicht?« Columba schluckte ungerührt den letzten Bissen ihrer Brezel.
    »Kind, du redest ungehörig.

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