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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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predigte. Nach Hause, tönte es in ihrem Kopf, nach Hause. Zumindest trieb man dort keinen gefährlichen Unsinn mit der Religion.
    Bei diesem Gedanken gewann ihr trotziges Wesen wieder die Oberhand. Der falsche Spanier sollte ihr gestohlen bleiben, sie würde ihn ohnehin nicht wiedersehen. Columba strich ihre Röcke glatt, wischte sich das Blut mit einem Zipfel ihres Umhangs aus der Stirn und trat mit hocherhobenem Haupt aus der Gasse. Wenige Schritte vor sich erkannte sie einen schmächtigen Mann in Schwarz. Vaters Spitzel, dachte sie voll Widerwillen. Egal, sollte er seinen Vorsprung nutzen und daheim berichten, was er wollte, den Tag konnte es nicht schlimmer machen, als er ohnehin schon war. Und was zählten Vorwürfe und Schelte gegen das, was Tringin ... Nein, nicht mehr daran denken, lieber daran, daß sie fror und hungrig war.
    12
    I hr Leib bäumte sich auf wie in jagendem Schmerz, erstarrte in einem Bogen über der schweißnassen Matratze. Sie stöhnte wie ein verendendes Tier, um im nächsten Moment zu grunzen wie ein brünstiges. In der Schlafkammer roch es nach Todesangst und dem Talg der nie verlöschenden Kerzen. Dunkelheit bereitete der Kranken Höllenqualen. Rebecca betrachtete ihre Schwester schweigend, voll Mitleid. Warum soviel Leiden, warum keine Erlösung für diese arme, geschundene Kreatur? Der Krampf ließ nach, Katharinas Körper entspannte sich, fiel zurück auf das Bett. Sie keuchte mit geschlossenen Augen und wimmerte.
    »Es geschah, als ich mich über sie beugte. Sie sah meinen Schleier und schrie. Sie ist besessen, und der Leibhaftige wehrt sich gegen mich«, sagte die Begine Anna voll kalter Abscheu. »Nie sah ich so deutliche Anzeichen. Sie ist besessen. Unser Beichtvater muß kommen. Wir brauchen einen Exorzisten, Weihwasser, das Bild des Gekreuzigten, sogleich!«
    »Wir brauchen ein Lot Baldrianwurzel, einige Quentchen getrockneten Lavendel, Hopfenblüten und Ingwer.« Rebecca überging gelassen den Einwurf ihrer Mitschwester. »Ich werde zum Apotheker auf dem Alter Markt gehen und einen Beruhigungstrunk bereiten, bleibe du hier und wasche ihre Glieder mit Essig und Wasser.«
    »Ich soll hierbleiben? Alleine mit ihr? Ich sage dir, sie ist besessen. Was ist, wenn die Teufel auch in mich fahren? Eine Dienerin Gottes, danach steht ihnen immer der Sinn, es ...«
    »Auch ich bin eine Dienerin Gottes, und doch greift kein Dämon nach mir.«
    »Nun ...«, begann Anna und beendete den Satz nicht, doch ein listiger Ausdruck kehrte in ihre Augen zurück.
    »Es ist gut, du kannst mich begleiten.« Rebecca seufzte erschöpft. »Mertgin, wasche du deine Herrin.«
    Auf dem Weg zum Alter Markt schwiegen die Frauen. Im gewölbten Laubengang unter dem Rathaus, neben dem Leinenkaufhaus, hatte der Apotheker seine Läden zur Straße hin ausgeklappt. In rechteckigen Fächern verströmten Kräuter und Samen den Geruch bitterer Würze. In Gläsern waren gedörrte Storchenherzen zur Kräftigung von Wöchnerinnen verwahrt, daneben lagen kleine Kügelchen von Hirschmark zur Stärkung der Leisten und ganze Tiere wie getrocknete Asseln und Krebse gegen Wurmbefall. Im Dunkel des Ladenkellers hinter der Auslage wirtschaftete der Apotheker, ein kleiner schiefer Mann mit ungleich hohen Schultern. Das Kratzen eines Mörsers war zu hören und konzentriertes Murmeln. Der Apotheker sagte sich selbst ein Rezept her: »Zwei Lot Aloe, ein Quentlein Lärchenschwamm, eine Prise Zittwer ...«
    »Hat Euch die Schwermut gepackt, Meister Sechsschneider?« rief Rebecca ihn an.
    Der Apotheker fuhr herum und lächelte. »Frau Rebecca! Ihr habt das Rezept also erkannt?«
    »Gewiß. Ein taugliches Mittel gegen Melancholie und zuviel schwarze Galle.«
    »Und nächtliches Gliederreißen, ich habe es selbst versucht. Was führt Euch her?«
    »Ich brauche eine Arznei für meine Schwester.«
    Der Mann mit den krummen Schultern nickte. »Sie liegt schon bereit.« Er eilte ins Dunkle und klapperte mit Gläsern.
    »Das ist ein Irrtum, ich habe nichts bestellt«, wunderte sich Rebecca.
    »Nein, nicht Ihr. Eine Magd ist es gewesen. Tumbes Ding, wagte kaum es vorzutragen, dabei ist es im Volk ein übliches Mittel. Oft erprobt, selbst die vertrocknetsten Weiblein werden davon wieder fruchtbar wie junge Mäuse, heißt es.« Stolz hielt er ein Glas ins Licht. Eine graue, trockene Masse lag darin. »Ganz frisch gedörrt«, sagte er stolz.
    Rebecca ahnte, um was es sich handelte: die getrockneten Genitalien einer läufigen Hündin. Mit

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