Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
wo ist dann meine Tochter?« Der Angesprochene zog es vor zu schweigen, seine Miene zeigte einen Anflug von Beleidigung. Was denn noch? Schließlich konnte er unmöglich zwei Menschen zugleich verfolgen, und schließlich hatte er sich mutig für den Degenträger entschieden.
»Geh, suche sie. Bring sie hierher.«
Der Spion zögerte, van Geldern erhob sich langsam aus seinem Stuhl, jede seiner Bewegungen war eine Drohung. Der Dürre lief rückwärts, bei jedem Schritt eine Verbeugung andeutend. Er glich einer verirrten Taube. Als er die Tür erreichte, wurde diese aufgestoßen, das Türblatt schlug ihm in den Rücken. Unfreiwillig stolperte er in den Raum zurück, fiel vor der Ritterrüstung auf die Knie. Van Geldern beachtete ihn nicht. Sein Blick fuhr zur Tür. Rebecca stand im Rahmen.
»Columba ist wieder da.«
Der Mann am Boden blieb auf den Knien hocken und schaute mit Geieraugen von einem zum anderen, lauschend, wie es seine Gewohnheit war.
»Verschwinde endlich, geh!« Der Dürre gehorchte, fest entschlossen, mit neuer Beute zurückzukehren. Sein Weg würde ihn in die Hafenschenken führen, zu den Ruderknechten der Spanier. Drei, vier Pintgen Wein sollten deren Zungen schon lösen.
Als er mit Rebecca allein war, nahm van Geldern wieder Platz. Seine Hände umklammerten ein Papiermesser, mit dem linken Daumen fuhr er über die Klinge, nur mühsam unterdrückte er seine Erregung.
»Ich fand Columba auf dem Alter Markt«, sagte die Begine ruhig. Auch ihre Miene verriet keine Erregung. »Es ist ihr nichts geschehen, nur ein Spaziergang.«
Van Geldern hob rasch die Augen. »Nur ein Spaziergang! Sagt sie das?« fragte er mit beißendem Spott.
Rebecca vermied eine Antwort. Der Kaufmann betrachtete nachdenklich das weiße Gesicht seiner Schwägerin, die glatte Stirn unter der gefältelten Haube, die ruhigen grauen Augen. Katharina war in ihrer Jugend schöner gewesen als sie, aber Rebecca hatte das Alter – sie mochte nun sieben- oder achtunddreißig Jahre zählen – nichts angehabt. Im Gegenteil, die Reife ihrer Züge erhöhte den Eindruck von Sanftheit. Was, wenn er sie damals ... Wäre sie nur zu diesem Zeitpunkt schon Witwe gewesen, ihr Vermögen übertraf das ihrer Schwester inzwischen bei weitem. Und alles würde bei ihrem Tode dem Konvent dieser närrischen Weiber zufallen. Was wäre mit diesem Geld alles zu machen! Das Haus gerettet, alle Gläubiger abgewehrt, neue Wagnisse möglich, die sich hundertfach auszahlen würden, aber statt dessen. O ja, Rebecca war eine fromme Frau, eine gute Frau, eine gefährliche Frau. Sie wußte, daß Columba nicht nur einen Spaziergang unternommen hatte, aber sie schützte das Kind. Torheit. Einen van Geldern betrog man nicht, er selber kannte die besten Tricks.
»Katharina verlangt nach dir«, sagte die Begine in die Stille hinein.
»Ich habe zu tun, geh und sorge dafür, daß sie Ruhe bewahrt. Gib ihr etwas, damit sie schläft, wenn die Gäste kommen. Einen starken Trank, hörst du?«
»Ein zartes Wort von ihrem Gatten, und ich denke, ihr Seelenfrieden wäre wiederhergestellt. Sie leidet unter deiner Abwesenheit.« Sie machte eine kurze Pause. »Du weißt, sie war und ist dir von Herzen zugetan.« Ein Ton von Mißbilligung schwang in ihrer Stimme mit.
Van Geldern deutete ärgerlich mit der Spitze des Papiermessers in ihre Richtung. »Was weißt du von ihrem Seelenfrieden? Wüste Beschimpfungen, widerwärtigster Unflat ist alles, was sie für mich übrig hat. Schwatzt davon, daß ich sie töten wolle. Als wäre ihr Erbe von so großem Reiz. Die Diener tragen all diese Anschuldigungen weiter, der Tratsch davon läuft bereits die Gassen hinauf und hinunter. Es wäre wahrlich besser, sie würde für immer schweigen.«
»Schwager, du versündigst dich.«
»Weil ich einer Leidenden die Erlösung wünsche? Gib ihr irgendeinen deiner Tränke, und sorge auch dafür, daß Columba gebadet und gekleidet wird. Mertgin weiß nicht mit ihr umzugehen.«
»Du willst auch deine Tochter nicht sprechen?«
»Was ich zu sagen habe, erfährt sie früh genug. Ich hoffe, die Furcht davor zähmt sie für diesen Abend. Geh! Die ersten Gäste werden bald eintreffen. Ich will sie würdig empfangen, ohne Hast. Mich ekelt dieser ganze kleinliche Aufruhr.« Er warf das Messer auf den Schreibtisch, griff nach Papier und einem Federkiel.
In seiner Hand, dachte Rebecca, ist dies die bei weitem gefährlichere Waffe. Stumm zog sie sich zurück.
Vor der Tür, ganz nah davor, wartete Anna, einen
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