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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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wieder die glatte Miene des arroganten Hasardeurs angenommen, dem das Leben ein Spiel ist. »Ich rette gerne törichte Kinder aus reichem Hause.«
    »Ich bin kein törichtes Kind.«
    »Was hattest du dann an einem Ort wie dem da verloren? Was hast du mit solchen Leuten wie diesem Luthger und dieser Tringin zu schaffen?«
    »Ich war nur Schlittschuhlaufen.«
    »Und du willst kein Kind sein?«
    »Du bist widerwärtig. Laß mich gehen, oder ich schreie. Ich schreie, bis die ganze Straße zusammenläuft, und dann wirst du sehen, wer töricht ist. Du Tölpel weißt gar nicht, wen du vor dir hast. Ich bin eine ...«
    »Van Geldern. Was übrigens machte den armen Luthger so rasend, als er den Namen hörte?«
    »Ich weiß es nicht, und es geht dich nichts an.« Der Bartlose legte den Kopf in den Nacken und lachte. Ruckartig wandte Columba sich ab, wollte ihm entfliehen, seinen Fragen, dem Bild des aufgebrachten Luthgers, dem eigenen Namen – van Geldern. Sie spürte wieder diesen tosenden Schmerz in ihrem Kopf.
    »Warte, du blutest.« Fast klang die Stimme besorgt. Lächerlich.
    »Das ist nichts, nichts.« Blut rauschte in ihren Ohren, sie schlug seine Hand fort. »Spar dir deine Fürsorge. Es wäre besser gewesen, du hättest sie Tringin zuteil werden lassen. Warum hast du sie nicht gerettet? Auf eine Lüge mehr oder weniger wäre es nicht angekommen.«
    »Es gibt Dinge und Menschen, die man verloren geben muß. Ich war gekommen, um sie und ihren Vater zu warnen, aber es gibt Zeiten zu kämpfen und Zeiten zu fliehen.«
    »Elender Feigling. Hoffst du vielleicht auf eine Belohnung von meinem Vater, weil du mich anstelle der armen Leute gerettet hast? Warst du darum so interessiert an mir?«
    »Du überschätzt schon wieder deine Reize. Um dich war mir nicht zu tun, ich kam ...«, er brach ab, »zu spät.«
    Columba glaubte endlich zu verstehen. Das Flüstern, Luthgers Erstaunen, der Anflug von Freude auf seinem zerfurchten Gesicht.
    »Du bist also selbst ein Ketzer!« stieß sie voll Abscheu hervor.
    »Ich bin nicht gläubig genug, um ein Ketzer zu sein«, kam es verächtlich von dem Mann. Seine Verachtung stachelte Columba nur weiter an.
    »Aber du warnst sie vor der Verfolgung. Das wird für eine Anklage reichen.«
    »Anklagen willst du mich?«
    »Recht würde es dir geschehen, einem Gotteslästerer, einem Abtrünnigen.« Sie wußte, daß ihr Zorn ungerecht und unsinnig war, aber sie haßte diesen Mann. Ja, sie haßte ihn und wollte sein selbstzufriedenes Lächeln ersticken.
    »Wenn die Ketzer dir so widerwärtig sind, warum trauerst du – ein braves Bürgermädchen – dann um Luthger und Tringin?«
    »Um Luthger soll ich trauern? Diesen rasenden Hund? Nie. Aber Tringin, ja, sie war eine Verführte, sie hätte den Täufern gewiß abgeschworen und wäre gerettet. Ihr Vater hat es nicht anders verdient, er ...« Columba brach ab. Das hatte sie nicht sagen wollen. Die Narben. Die Narben.
    »Du bist nicht nur ein törichtes, du bist ein grausames Kind, das nichts vom wahren Evangelium der Barmherzigkeit weiß.« Die Stimme ihres Begleiters bebte.
    »Ich höre die Messe gewiß öfter als du und gehe regelmäßig zur Beichte«, gab Columba aufgebracht zurück und wußte, wie albern es klang. Messen. Beichte. Gesangbücher. Die Bibel in Tringins totenweißen Händen. Sie errötete. Das Gesicht des jungen Mannes war hart geworden.
    »Du bist wie alle, die ihre Frömmigkeit durch die Gassen tragen, prahlend und satt. Du bist eine ärgere Gotteslästerin als jeder Wiedertäufer und Sakramentierer. Du bist so grausam wie der Kerl, der Tringin erschlug. Er tötet mit Knüppeln, du tötest mit Worten.«
    Columba holte aus und schlug ihm ins Gesicht. Der falsche Spanier hob nur kurz die rechte Braue, so als sei ihr ein hübsches Scherzwort gelungen.
    »Ich sehe, daß du wieder bei Kräften bist, also kann ich mich verabschieden«, sagte er knapp.
    Columba öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. »Du kannst mich hier nicht alleine lassen.«
    »Du bist nicht allein, du hast deinen Gott. Leb wohl, kleine Schlittschuhläuferin.«
    Er verließ das Gäßchen, trat ins Licht. Noch einmal wandte er sich um. »Wenn du mich anzeigst, dann hüte dich davor, anzugeben, wo du mich entdeckt hast. Eine van Geldern beim gebrannten Kopf ... Ich fürchte, das könnte selbst eine Heilige wie dich verdächtig machen.«
    Er war fort. Columbas Wangen brannten, als habe sie selber eine Ohrfeige empfangen. Und das von einem Ketzer, der die Nächstenliebe

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