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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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während er insgeheim überlegte, ob Philipp der Türken wegen eine weitere Anleihe bei ihm tätigen wollte. Wenn ihm nur Geld zur Verfügung stünde, dann könnte er leicht einen Zinsfuß von zehn, fünfzehn Prozent aushandeln. Die Fugger in Augsburg machten es vor. Nun gut, das würde sich weisen. Schon morgen vielleicht, wenn Cristobal ihm seinen Anteil aus den peruanischen Silberschätzen, die Zinsen für die letzte Anleihe, aushändigen würde. Er könnte einen Teil sogleich wieder mitnehmen, doppelt belastet natürlich.
    Van Geldern entspannte sich bei diesem Gedanken. Herrlicher, fruchtbarer Kreislauf des Geldes! Er fühlte sich wie ein Meister der Wirklichkeit. Nicht einen Moment kam es ihm in den Sinn, daß er Philipp so gefährlich war wie die Türken. Er ahnte nichts von der störenden Macht der Geldsäcke und Merkbücher, die Könige und Kaiser immer tiefer in die Niederungen der gemeinen Welt verstrickte. Philipp war im Namen seines heiligen Krieges gezwungen, aufmüpfigen Baronen, lasterhaften Äbten, selbst ketzerischen Krämern zuzulächeln, nur um ihr Geld zu leihen. Kein Wunder, daß es mit der Ausrottung der Abtrünnigen und Glaubenslästerer nicht voranging, wenn man auf ihr Geld angewiesen war.
    So oder ähnlich schienen Cristobals Gedanken zu laufen, denn nun wechselte er mit angenommener Kälte das Thema. »Ihr seid ein rechtgläubiger Mann, van Geldern, so hörte ich. Ein Mann, der seine Familie zu lenken weiß, und der für seine untadelige Frömmigkeit bekannt ist.«
    Der Kaufmann schreckte hoch aus seinen Träumen von Prozenten und Zinsen. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während er nach einer Antwort suchte. War das eine inquisitorische Anspielung, eine Drohung? Was wußte Cristobal von dem vermaledeiten Ausflug seiner Tochter? Ein Mann in Schwarz lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Der Dürre! Sein Spitzel drückte sich wie eine vorsichtige Ratte an der Wand entlang auf ihn zu.
    »Laßt uns morgen über die Geschäfte sprechen«, sagte der Kaufherr zu Cristobal gewandt, »nun ist es an der Zeit zum Tanz. Ich sehe, meine Tochter Juliana hat ihr Spiel beendet. Es wäre mir eine unermeßliche Ehre, wenn Ihr sie zum Tanze führen würdet.«
    Der Grande war höflich genug, um zu danken. Er erhob sich, stieg vom Podest herab und verneigte sich mehr geziert als zierlich vor Juliana. Die streckte ihm die Hand entgegen, doch der Spanier krauste die Stirn. Das Mädchen verstand. Widerwillig zog sie ein Taschentuch aus dem Mieder und hielt es dem Granden hin. Die Flöten setzten ein. Don Cristobal geleitete Juliana nach spanischer Art zum Tanzboden: er faßte nur das Taschentuch. Der wahrhafte Kavalier mußte führen, ohne zu berühren; so verlangte es das ebenso strenge, wie schmucklose Hofzeremoniell, und Don Cristobal war es genehm, da er an der Gesellschaft von Frauen keinen Gefallen hatte.
    »Ein widerwärtiger Sodomit, seinem eigenen Geschlecht zugetan?« fragte van Geldern in diesem Augenblick bei seinem Spitzel nach, als habe er nicht recht verstanden. Der Späher nickte genüßlich, der Kaufherr lächelte zufrieden. Diese Nachricht eröffnete Möglichkeiten.
    »Es heißt, sein besonderer Günstling sei dieser Mann.« Der dürre Finger des Spions deutete kurz zum Kamin.
    Van Gelderns Blick folgte ihm wie der Faden der Nadel. Der Glattrasierte! Der spanische Spitzel! Angewidert verzog van Geldern den Mund. »Der da huldigt also der verkehrten Liebe mit dem Granden?«
    »Nein, nein, davon kann keine Rede sein. Don Cristobal ist klug genug, sich in seiner Liebe zu teilen. Sein Leib gehört niederen Pagen und groben Stallburschen, die er leicht zum Schweigen bringen kann. Seine Seele aber schenkt er wechselnden Begleitern, und zur Zeit eben dem da. Dieser Günstling soll eher verwegen im Geist als im Fleische sein. Man versichert, daß er die Weiber hinlänglich schätzt und vor allem die Weiber ihn.«
    Van Geldern studierte eingehend das Gesicht des Jünglings, der spöttisch die Festgesellschaft betrachtete. Warum kam dieses Gesicht – das herrisch vorspringende Kinn, die gerade Nase, die breiten Wangenknochen unter dunkel leuchtenden Augen – ihm nur so seltsam vertraut vor?
    »Sein Name ist Lazarus Ossianus.«
    »Ossianus?« Sein Gesicht blieb ausdruckslos, der Name bedeutete ihm nichts.
    Der Mann in Schwarz machte eine wegwerfende Geste. »So nennt er sich nach humanistischer Sitte. Ein zweifelhafter Philosoph. Niemand weiß etwas Rechtes über ihn. Es heißt, er stammt aus Flandern,

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