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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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ihre Freiheiten; sein Verstand war wach, wenn auch nicht übermäßig flink – sie würde ihn lenken können. Ihre Mitgift gäbe ihr Einfluß, und er, er würde sie immerhin erheitern. Seine Leichtigkeit, sein munterer Sinn – war das nicht gerade das rechte für sie nach all den trüben Jahren in diesem düsteren Haus?
    Sie lächelte van Ypern herzlich zu, als eine Hand leise ihre Schulter berührte. Wie ertappt fuhr sie herum, und eine Zornesfalte durchzuckte ihre glatte Stirn. Der falsche Spanier schmunzelte. »Du bist noch einmal so hübsch, wenn du zornig bist, das bemerkte ich schon am Nachmittag.«
    »Ich bin nicht zornig«, zischte Columba, »ich bin fröhlich wie mein Tanzherr.« Sie wiederholte ein Lächeln in dessen Richtung. Van Ypern ließ seine Reiherfeder wippen.
    »Überlaß das Lächeln lieber deiner Schwester«, bemerkte Lazarus, »sie taugt mehr zum schmiegsamen Engel.«
    »Und du, falscher Spanier, taugst nicht dazu, einer Frau schönzutun«, gab Columba ernsthaft zornig zurück. Sie hatte Julianas sanften Augenaufschlag in Richtung des Glattrasierten durchaus bemerkt. Van Ypern war ein Verehrer, den sie Columba gönnte, der Glattrasierte hingegen war zu hübsch und stattlich, um seine Aufmerksamkeit an die Schwester zu verschenken.
    »Ich glaube kaum«, sagte Lazarus, »daß du Wert auf einen Mann legst, der sich für dich zum possierlichen Schoßhündchen macht.«
    »Der Freiherr van Ypern ist kein Schoßhund«, gab Columba heftig zurück und sah aus den Augenwinkeln, wie der Angesprochene nach einem Silberbecher griff, ihn auf die Stirn setzte und unter dem Gelächter der Umstehenden durch den Raum balancierte.
    Columba drehte ihm den Rücken zu und sah Lazarus entschlossen an. »Er ist ein edler Mann, ich bin ihm versprochen und er ...« Sie brach ab, als van Ypern dröhnend wie ein Bär zu lachen begann.
    Lazarus verzog seinen schönen, arroganten Mund. »Ich schätze, ein jeder hält seine Eule für ein Täubchen«, bemerkte er und wandte sich ab. Das Geplänkel hatte nur eine Pavane gedauert, die Instrumente schwiegen. Columbas Laune verdüsterte sich. Würden viele so über sie sprechen, wenn sie erfuhren, daß van Ypern ihr künftiger Name sein sollte? Die Bilder, die sich nun auftaten, waren weniger fröhlich als eben. Sie sah sich als ständig gekränkte Frau, die sich fortwährend für die Torheiten eines Bruder Lustig entschuldigte, der im Fett seines Leibes erstickte. Ihr Kopf schmerzte heftig. Der Bruder Lustig eilte auf sie zu, und Columba glaubte den Hohn und den Spott in den Gesichtern der Umstehenden zu lesen. Erst recht, als nun ein Schwan auf einer goldenen Platte hereingetragen wurde und der Freiherr händereibend vom Weg abkam, um dem gebratenen Vogel statt seinem Täubchen entgegenzueilen.
    Staunend wie ein Kind stand er vor der Platte, denn man hatte dem Tier alle Federn wieder eingesteckt, seinen Schnabel mit Krapp rot gefärbt und die Flügelspitzen vergoldet. In der Mitte des Raumes setzte man den Vogel ab. Der Koch wetzte schabend zwei Messer, senkte dann eines in den Bauch des Tieres. Es schien zu zucken, Federn flogen, die Festgesellschaft hielt den Atem an. Ein glatter Schnitt, und der Bauch des Tieres öffnete sich, ein Piepsen war zu vernehmen, ein ängstlicher, kleiner Vogelschrei, noch einer, dann schlüpfte der erste Spatz aus dem Leib des Schwans, andere folgten, die ersten schüttelten die Flügel und stoben in den Raum. Die Gäste applaudierten und wiesen lachend auf die ängstlich flatternden Vögel, die – ihrem heißen Gefängnis entkommen, in das man sie nach dem Braten des Schwans eingenäht hatte – sich das Genick an Deckenbalken und Fenstern brachen.
    »Was für ein köstlicher Einfall!« schrie van Ypern und haschte mit fetten Fingern nach einem Sperling. Andere schlugen mit Hüten danach, die Augen voll unschuldigster Mordlust. Man nahm den Tod der Kreatur gerne von der heiteren Seite: sei es bei einer Hinrichtung, sei es bei der Kochkunst. Was für ein vortrefflicher Küchenmeister! Was für eine gelungene Überraschung. Ähnliches kannte man sonst nur von Fürstenhöfen.
    Columba war froh, sich vom Tanzboden schleichen zu können. Sie hielt den schmerzenden Kopf gesenkt. Überall Sterben. Wahrhaftig, selbst die Sperlinge dauerten sie. Es war Lazarus, der sie beim Arm packte. »Du hast keine Freude an dem Spiel?« fragte er ernst.
    Columba hob den Blick und ärgerte sich über die Tränen, die ihr in die Augen stiegen. »Ich verachte alle

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