Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
aus Brügge, aber er ist weit gereist, die Welt ist sein Zuhause; vielleicht aus Notwendigkeit, vielleicht aus Lust daran.«
Er pausierte, erstaunt über die Wirkung seiner Worte. Die Erwähnung Brügges schien seinen Herrn ernsthaft alarmiert zu haben, dabei war das nur der unwichtige Teil seiner Nachricht. Er räusperte sich, um seine Stimmbänder von Schleim zu befreien, dann sagte er:
»Er ist der Mann, der Eure Tochter entführte.«
»Was sagst du?« van Geldern fuhr auf.
»Er ist der Mann, der Eure Tochter aus den Fängen der Ketzerjäger befreite«, sagte der Dürre kalt und hoheitsvoll. Dies waren die Momente, die er genoß, die Momente, in denen sein Wissen ihm Macht verlieh und sein Herr zum Gehetzten wurde, zum Opfer seiner Forschung, zum Werkzeug seines Spähers.
Van Geldern sah die Möglichkeiten schwinden, die sich soeben so golden eröffnet hatten. Geheimnis stand nun gegen Geheimnis. War dieser Lazarus der Günstling Don Cristobals und tatsächlich sein Spitzel, dann hatte er seinem Herrn gewiß von dem Abenteuer bei der Alten Mauer berichtet. Van Geldern unterdrückte ein Seufzen. Und er selber hatte seiner Tochter befohlen, an diesem Fest teilzunehmen, sich zu zeigen. Hätte er es nicht getan, wer weiß? Vielleicht hatte der Glattrasierte erst an diesem Abend entdeckt, wen er da aus den Klauen der Ketzer geraubt hatte. Aber warum hatte er das überhaupt getan? War es ein Akt der Aufschneiderei vor den Kölner Soldaten gewesen oder vielleicht eine flüchtige Begierde?
Nachdenklich wanderte van Gelderns Blick zu Columba hinüber. Sie lächelte und scherzte mit Birckmann. Gewiß, sie war reizvoll in Momenten wie diesen, aber er zweifelte nicht an dem ersten Bericht seines Spitzels, der ihm versichert hatte, Columba sei wie eine Katze auf den Kerl losgegangen, habe ihn geschlagen. Lazarus hatte also noch mehr Grund sie zu hassen und zu verraten.
Kurzentschlossen machte van Geldern dem Späher ein Zeichen, der beugte sich herab. »Der Grande hat sein Zimmer im zweiten Geschoß, sorge dafür, daß ihm heute nacht ein Knabe zugeführt wird.«
»Was für ein Knabe?«
»Ein nackter.«
Der Dürre machte ein enttäuschtes Gesicht: »Und Ihr glaubt, der Sekretär geht in ein so grobes Netz?«
»Das ist egal. Sorge du nur dafür, daß eine arglose, fromme Magd, ich denke an Mertgin, ihn entdeckt, wenn er auf den Knaben trifft.«
»Ich verstehe.« Der Späher nickte eifrig. »Mertgin ist eine treue Seele, die keinen Eid für Euch scheut, selbst wenn der Spanier den Knaben aus seiner Stube tritt.«
»Die Treue der meisten Menschen gleicht einem Salatkopf, sie welkt rasch. Wenn Mertgin versagt, wird Don Cristobal trotzdem die Botschaft meines Geschenks begreifen. Sein Laster ist in diesem Hause kein Geheimnis. Das sollte mir reichen.«
»Ich schätze Eure Klugheit mehr als die jedes anderen«, lobte der Dürre anmaßend.
»Ich schätze Eure Verschwiegenheit mehr als Euer Leben«, erwiderte van Geldern kalt und wandte sich ab.
2
D oktor Birckmann ist unter den Gästen, ich werde ihn holen.« Entschlossen richtete Rebecca sich auf. Anna tat entsetzt, griff sie beim Arm. »Aber das wäre deinem Schwager nicht recht. Sein Fest darf nicht gestört werden, ich hörte selbst, wie er es sagte.«
Verärgert schaute Rebecca der Schaffnerin ins Gesicht. »So? Das hörtest du? Deine Ohren sind bemerkenswert scharf, sie hören sogar durch Holz und Wände!«
Anna schwieg mit der Miene der zu Unrecht Gekränkten.
»Ich muß Birckmann holen, meine Schwester atmet kaum noch, zu tief ist ihr Schlaf. Eine merkwürdige Geschichte; an meiner Medizin kann es nicht liegen.«
»Vielleicht«, schlug Anna mit listigem Blick vor, »gab der Apotheker dir ein falsches Kraut. Schnell verwechselt man Tiegel und Töpfe.«
»Unsinn«, sagte Rebecca unwirsch, »er ist der Beste seines Fachs, ich selber habe die Kräuter gemischt und mit dem Honig, den du mir gabst, verrührt.« Sie bemerkte nicht den triumphierenden Blick ihrer Mitschwester und machte sich auf den Weg zur Tür. Es war Mertgin, die ihr den Weg vertrat.
»Verehrte Rebecca«, lange hatte sie an dieser Anrede gearbeitet und war zufrieden damit, »der Herr wünscht tatsächlich keine Störung. Bedenke, wie wichtig die Spanier für ihn sind. Was, wenn ihnen etwas von Krankheit zu Ohren kommt? Die Pest ist noch nicht abgeklungen in Köln, ein jeder, der Latwerge kauft und schluckt, gilt schon als verdächtig. Was, wenn die vornehmen Herren sich darüber beunruhigen,
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