Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Verbindung zwischen der Hanse und den Niederlanden. Laut beschwerte er sich gegen die Hansestadt Hamburg, weil sie die Engländer während der letzten niederländisch-englischen Handelssperre in seinem Hafen anlanden ließ.
»Ein jeder«, so dozierte der magere Mann mit dem gelockten Bart, der langen Nase und dem schielenden Blick, »ist nur noch auf seinen Vorteil bedacht, aber es gilt, an den gemeinen Nutzen zu denken. Die Hanse ist nur stark, wenn jeder sein Scherflein beiträgt.«
Birckmann stand neben ihm und wiegte nachdenklich den Kopf. »Lieber Freund, ich schätze Euren aufrichtigen Eifer, aber wie stark ist die Hanse noch? In London wird sie von den aufstrebenden Merchants bedroht, die ihrer Königin – im Namen einer neuerwachten Vaterlandsliebe – viel weitreichendere Privilegien abschmeicheln und abkaufen, als die Hanse sie je hatte. In Antwerpen wird die Hanse am Ende zu den letzten gehören, die dem Hafen noch treu bleiben, wenn es zum Krieg kommt.«
Sudermann seufzte. »Wer weiß das schon? Ich warne nur vor den Folgen, wenn die Hanse zerfällt. Ein jeder von uns würde dann den anderen zerfleischen, ein Krieg aller Kaufleute gegen alle wäre die Folge, die Geldgier des einzelnen unbegrenzt zum Schaden aller. Seht doch nur, was geschieht, wenn die Gesetze der Zünfte nicht mehr gelten. Die Preise fallen, die Gesellen verlieren Lohn und Brot, weil vor den Städten dahergelaufene Tagelöhner ihre Arbeit zu billigstem Lohn verrichten – ohne eine rechte Ausbildung zu haben.«
Birckmann schwieg. Es lohnte nicht, mit Sudermann darüber zu streiten, ihre Standpunkte waren nicht vereinbar. Der eine hielt fest am alten Herkommen, der andere sah, daß die neue Zeit nicht aufzuhalten war.
»Da kommt van Geldern«, lenkte Birckmann deshalb ab.
Sudermann runzelte die Stirn, strich sich den Bart. »Van Geldern hier? Ich hörte, wie die Gaffelboten in den Gassen verkündeten, daß gestern nacht seine Frau verstarb. Wie kann er da an das Geschäft denken?«
»Er denkt an nichts anderes«, bemerkte Birckmann trocken. »Vielleicht ist es gut so, es lenkt ihn ab.«
»Wart Ihr zugegen, als Katharina starb?«
Birckmann schüttelte ernst den Kopf. »Nein, aber Rebecca, die Schwester war bei ihr.«
»Eine vortreffliche Krankenwärterin, selbst als die Pest umging, scheute sie den Gang zu den Kranken nicht. Eine wahrhaft verehrungswürdige Frau.«
Wieder nickte Birckmann, diesmal kräftiger, wie um alle weiteren Fragen auf einmal zu beantworten.
»Und es war nicht die Pest, die Katharina hinwegraffte?« mischte sich ein anderer Händler mit gedämpfter Stimme ein.
Der Arzt schüttelte so energisch den Kopf, als wolle er lästige Fliegen vertreiben. »Nein, die war es in keinem Fall. Ich habe die Frau Katharina noch am gleichen Abend gesehen, ihr Leib wies weder Flecken noch Schwären auf. Auch Pocken oder der englische Schweiß waren es nicht.«
»Aber ungewöhnlich plötzlich kam der Tod doch. Nicht einmal die Letzte Ölung konnte sie empfangen, sagt man«, beharrte der andere hartnäckig.
»Der Diakon von Sankt Alban hat die Sterbesakramente nachträglich erteilt. Sie lag schon lange krank – una meute capta –, eine Irrsinnige. Die Anfälle kamen immer heftiger, ein jeder konnte tödlich sein«, wich Birckmann aus. Er würde mit Rebecca sprechen, das nahm er sich vor. Wenn man ihn schon im Haus van Geldern heute nicht vorließ, so doch im Konvent. Vielleicht waren einfach seine Maßnahmen verfehlt gewesen oder zu spät gekommen, vielleicht hatte sich die Atmungslähmung wiederholt, vielleicht hatte er sich überhaupt getäuscht und alles war nach der Natur gegangen. Gestorben wurde schließlich alle Tage.
»Sie war so krank wie die Finanzen ihres Gatten«, behauptete der neugierige Händler nun frech. »Ich nehme an, daß ihr Tod zumindest dieses Leiden kuriert.«
Er wandte sich ab, als die Augen van Gelderns ihn trafen. Der Kaufherr stieg die Stufen zum Laubengang herauf. Er hatte die Worte sehr wohl vernommen, tat aber, als sähe er die mißtrauischen Blicke nicht, mit denen die meisten ihn empfingen.
Birckmann gab seiner Trauer mit knappen, leisen Worten Ausdruck. Sudermann kondolierte stumm und suchte ein anderes Grüppchen auf.
»Er wirbt schon wieder für Antwerpen?« fragte van Geldern mit seinem fuchshaften Grinsen.
»Er kennt kein anderes Thema.«
»Außer dem Tod meiner Frau, nehme ich an.« Der beißende Spott in seiner Stimme verärgerte Birckmann.
»Werter van Geldern, Sudermann
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