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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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ist kein loses Schwatzweib und kein Gerüchtemacher.«
    »Nein, das besorgen andere. Ich mag alt sein, aber mein Gehör ist scharf wie das eines Pirschgängers. Ich vernahm auf dem Weg hierher genug. Seit Wochen laufen scheußlichste Lügen über mich um. Nur weil ich nicht wimmere wie ein dummes Weib, heißt das nicht, daß ich nicht verletzbar bin. Der Tod meiner Frau kam unerwartet für mich. Alsdann!« Er drehte sich um und stieg die Stufen wieder hinab.
    »Ihr wollt schon gehen?« rief der Doktor. »Habt Ihr keinen Handel zu besprechen, keine Geschäfte?«
    »Ich habe heute nur Geschäfte mit dem Sargmacher, den Leichenträgern und dem Priester, wie Ihr Euch denken könnt.« Die Lüge kam glatt von seinen Lippen und verfehlte ihre Wirkung nicht. Der Doktor biß sich auf die Lippen, kam sich töricht vor.
    Fast genüßlich fuhr van Geldern fort: »Gott mit Euch, Birckmann, ich hoffe Euch bei der Totenmesse zu sehen. Katharinas Leib wird Sonntag zu Sankt Alban ausgesegnet und in der Marienkapelle beigesetzt. Es wäre ihr sicher tröstlich zu wissen, daß sie ganz in der Nähe der Mutter Gottes liegen wird. Schon bald werde ich ihr zu Ehren ein Altartuch für die Kapelle stiften, wie Köln noch keines sah. Katharina soll nie vergessen werden, ich jedenfalls kann es nicht.«
    »Gewiß, gewiß«, antwortete der Arzt und schwieg bestürzt. Er hatte van Gelderns Zartgefühl unterschätzt. Was für ein einsamer, bitterer Mann der Kaufmann war. Vielleicht verbarg er unter der harten Schale ein wahres Gefühl von Schmerz. Kosten für ein ehrwürdiges Begräbnis jedenfalls scheute er nicht.
    2
    M it zusammengekniffenen Augen begutachtete Lazarus die steinerne Wucht des Gefängnis- und Wehrturms an der Frankenwerft. Schmale Schießscharten unterbrachen das feste Mauerwerk, das vier Stockwerke hoch in den kahlen Himmel ragte. Am Eingang stand ein Wachposten mit blinkender Hellebarde und grimmigem, vom Frost geröteten Gesicht.
    Mißmutig betrachtete er den Mann in spanischer Uniform. Was wollte der hier? Sich überzeugen, daß man mit den Wiedertäufern hart und unbarmherzig widerfuhr? Alles eitle Kerle, diese Spanier, hielten sich für die verwegensten Degenfechter und Gottes erste Söldnerschar. Der Wachmann spuckte aus. Soviel war klar, der kam ihm nicht hier herein, egal welche Passierscheine und fremdländische Siegel er vorzuweisen hatte.
    Lazarus spähte den steinernen Kai in Richtung des Doms hinab, suchte mit den Augen die wogende Menge der Fuhrknechte, Kaufleute, Marktweiber und Zöllner ab. Würde Cassander sein Versprechen einlösen?
    Ein Trupp Vermummter, verfrühte Freunde des Karnevals, kamen des Weges. Sie lärmten mit Trommeln und Pfeifen, sangen Spottverse dazu. Einer war als Bär gewandet und in Erbsenstroh gehüllt. Mit seinen Tatzenhandschuhen schlug er nach vornehmen Kaufleuten aus, brüllte drohend, schüttelte sein falsches Fell. Die Kumpanen taten, als wäre er kaum zu bändigen, gaben ihm zum Scherz die Peitsche und zerrten an seinem Lederhalsband. Der Bär spielte mit und riß sich los, tollte auf den Wachmann zu, der große Furcht markierte. Das Untier tauchte unter seinen Armen durch und verschwand im Turm. Gelächter und Gebrüll. So einfach war es also, in den Turm zu kommen, dachte Lazarus kurz.
    Da stürmte der Bär wieder heraus und auf den vermeintlichen Spanier los, schlang seine Arme um Lazarus. Der lachte und wand sich. »Wir lassen dich nicht aus, Spanier, bis du ein Trinkgeld zahlst, wie es Brauch ist«, drohte ein grober Geselle mit Bocksmaske.
    »Der ist so dumm und versteht kein Wort«, brummte ein Schalknarr mit Schellenkappe. Der Bär stieß ein Brüllen aus.
    »He!« rief ihn endlich der Turmwächter an. »Es ist genug. Ihr wißt, daß das Fangen und Halten von Leuten verboten ist. Laßt ab von dem Kerl, auch wenn es nur ein verdammter Spanier ist.«
    »Sei froh, daß ich keiner bin«, erwiderte Lazarus, »sonst hätte ich die Beleidigung mit meinem Degen pariert.« Der Wachmann zuckte zusammen. »Beruhige dich, ich verstehe einen Spaß so gut wie ihr. Uns Flamen ist die Fastnacht nicht fremd.« Er griff nach dem Geldbeutel in seinem Wams, suchte Münzen für die Vermummten heraus. »Das sollte selbst einen Bärendurst löschen.«
    Mit einem Trommelwirbel sagte die Schar Dank und trollte davon, der Bär schlug ein Rad. Der Wachmann nahm wieder Haltung an.
    Lazarus drehte sich lachend zum Dom und blickte in ein vertrautes Gesicht. Leises Erschrecken blitzte darin auf. Für einen

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