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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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schreckensweit.
    Ein verkehrtes Bild, dachte Rebecca mit seltsamer Kaltblütigkeit, völlig falsch. Sie ging zu dem Mädchen hinüber und löste mit festem Griff das Messer aus ihrer Hand. Sie kannte die Waffe, es war das Papiermesser des Kaufmanns. Verkehrt, dachte Rebecca immer wieder, auch das verkehrt.
    Columba hob ihre Augen. »Ich weiß nicht, wie ich herkam«, flüsterte sie, »ich weiß nicht, was ich tat. Ich glaubte zu träumen, bis eben. Aber das Messer! Ich muß ...«
    Rebecca verschloß den Mund des Mädchens mit der Rechten. »Still«, sagte sie tonlos. Dann ging sie hinüber zum Fenster und öffnete es, damit die Seele Katharinas unbehindert entweiche. Mit ebensolcher Ruhe trat sie dann an die Tote heran und schloß ihr die Augen, damit sie niemanden nachziehen konnte. Entsetzte Stille lag über dem Raum, bis sich aus Mertgins Kehle der lange unterdrückte Schrei löste. Der Schrei, den auch Melina hörte. In den Gängen des Hauses schlugen Türen, Schritte wurden laut.
    Die Geräusche erlösten Rebecca aus dem Gefühl kalter Erstarrung, sie zog Columba aus dem Zimmer.
    »Mörderin«, zischte Juliana hinter ihr her. Wieder lag Triumph in ihrer Stimme.
    »Gehe in dein Zimmer«, befahl ihr Rebecca, und zu Mertgin gewandt sagte sie: »Bedecke deine Herrin und verschließe die Tür hinter uns. Ich werde gleich wieder bei dir sein, um sie zu waschen und ihr das Totenkleid anzuziehen, bevor der Diakon ihr die letzten Sakramente erteilt. Rede bis dahin zu niemandem, hörst du? Niemandem.«
    Mertgin atmete keuchend, doch sie verstand und nickte.
    Wo, schoß es Rebecca mit einem letzten Blick auf Katharina durch den Kopf, wo aber war Anna? Vor den Fenstern hob sich fahl das Licht der Dämmerung, fast träge schob es die Nacht beiseite.

III.
    Von Engeln und Ketzern
    1
    G ewirr von Stimmen, eifriges Murmeln, geflüsterte Zahlen, getuschelte Meinungen und unnachgiebiges Feilschen. In einem Laubengang nahe dem Rathaus hatten Kölns Kaufherrn, ihre ausländischen Konkurrenten und Partner sich zur Börse versammelt. Sie war eine der ersten, die mit Augsburg, Nürnberg und Hamburg 1553 im Deutschen Reich gegründet worden war. Für dieses Jahr plante man die Fertigstellung eines machtvollen Gebäudes in der Bolzengasse für die Zusammenkünfte.
    Sudermann war an diesem Morgen da, der Syndicus der Hanse und ihr eifrigster Verfechter. Wieder einmal warb der gebürtige Kölner für den Bau eines bombastischen Kontors der Handelsvereinigung in Antwerpen. Zehntausend Karlsgulden hatte der Rat bereits zugeschossen, doch Kölns Kaufleute blieben skeptisch, auch wenn Don Cristobal nicht von direkter Kriegsgefahr in den Niederlanden gesprochen hatte. Dennoch: Was zählten die Residenz und die hansischen Privilegien, die man den Antwerpenern teuer bezahlen mußte, gegen die neuen Gesetze des Marktes.
    Die Befreiung von Kran- und Kaigeld, Hafensteuern, Entladegeld, Reinigungsgebühr und gewissen Zöllen war zwar angenehm, doch dafür die vielen Verpflichtungen Die Vorschrift etwa, Waren wie baltisches Korn oder kölnische Tuche zunächst in Antwerpen anzubieten, bevor es weiter nach England ging. Die Flamen würden es nutzen, um die Preise zu drücken. Schon im letzten Sommer hatten sie es gewagt, vierundzwanzigtausend Last Korn wegen aufflammender Hungersnöte zu beschlagnahmen und zurückzuhalten. Viele Händler, darunter van Geldern, hatten dabei böse Verluste gemacht.
    Dazu das Verbot für Hanseaten, in unruhigen Zeiten gewisse andere Häfen und Handelsplätze zu nutzen. Solche Beschränkungen luden ausländische Kaufleute dazu ein, in die Bresche zu springen. Die Hanse war ein überkommenes Bündnis, so sicher wie Eisen Rost ansetzt. In Köln ärgerte man sich zudem über die Verpflichtung, anderen Hansestädten in ihren Kriegen beizustehen. Lübeck etwa, das sich seit beinahe zwei Jahren mit Schweden befehdete und Geld für Truppen einforderte. Welchen Nutzen hatte das für Köln?
    Es galt, wendig zu sein. Die Politik hatte es längst begriffen und gehorchte den Gesetzen eines Machiavelli, der kalt aufgezeigt hatte, daß Moral und Bündnistreue nicht immer dem Machterhalt dienen, der doch vornehmstes Ziel jedes wahren Herrschers war. Galt für die Wirtschaft nicht das gleiche? Ganz Europa war ein Pulverfaß, da mußte man Handelsplätze rasch aufgeben. Handelsplätze wie Antwerpen etwa, aus dem schon jetzt viele Kaufleute flohen.
    Doch Sudermann, selbst Stahl- und Tuchhändler, verhandelte eifrig über eine noch engere

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