Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
gesund ist der Geist dieser Frau? Neigt sie zu mystischen Visionen wie andere Beginen?«
Columba hatte zu spät gehandelt, er hatte das Bild im Stickrahmen gesehen.
Birckmanns Miene verhärtete sich, hart spannten sich seine Kiefer. »Rebecca ist eine hochangesehene, kluge Frau aus dem Geschlecht der Scarpenstein. Als Seidenweberin gehörte sie zu den reichsten Frauen der Stadt. Selten begegnete mir eine Frau von so klarem Verstand.«
»Was man von ihrer Schwester nicht behauptet«, bemerkte Lazarus.
»Sie verkraftete den Tod ihres einzigen Kindes nicht, nur das verwirrte ihren Geist.«
Lazarus strich sich mit den Fingern seiner Rechten nachdenklich über die Wange. »Und wie«, fragte er schließlich in sanftem Ton, »steht es um Seele und Geist Columbas?«
Birckmann fuhr hoch, Zorn verzerrte seine Züge. »Ihr seid nichts als ein dummer Schwätzer, seht Gespenster, wo es keine gibt. Mischt Euch zu den Apfelweibern und verbreitet da Euren Tratsch. Ich will mit diesem Geschwätz nichts zu tun haben. Laßt Frau Katharina in Frieden ruhen, sie starb im Schlaf.«
»Nichts liegt mir ferner, als die Ruhe einer Toten zu stören. Aber ich sah ihr Blut.« Denn ihr Blut mußte es gewesen sein, das auf dem Leintuch war, das Rebecca so eilig versteckt hatte.
Birckmann wandte sich wortlos ab. »Schwätzer«, stieß er ein weiteres Mal hervor.
»Es mag sein«, erwiderte Lazarus kalt, »daß ich ein Schwätzer bin, aber ich warne Euch. Tote schlafen nicht gern allein, vor allem wenn man sie gegen ihren Willen in die Grabe hinabgestoßen hat.«
Birckmann drehte sich ein letztes Mal um. »Ich warne Euch, junger Mann, die Familie van Geldern beleidigt niemand ungestraft. Verlaßt Köln, ehe Eure Lügen und Maskeraden Euch selbst vernichten – Ketzerfreund.«
Eilig machte er sich davon, nicht eilig genug, um sich selbst und seinen nagenden Zweifeln zu entkommen.
10
N ach drei Tagen ging der Frost so plötzlich wie er gekommen war. Tauwetter setzte ein. Nächtens knirschte zunächst das Eis unter den Schiffskielen. Gurgelnd und tiefschwarz schoß der Rheinstrom nach oben, am Morgen trieben schwere Eisschollen stromab. Schleppboote zogen die Koef der Spanier in die Strömung. Auf der Höhe von Rodenkirchen warteten die Rhinghalfen genannten Treidelknechte mit ihren schweren Seilen und Pferdegespannen auf das spanische Gefährt. Sie ruderten das Seilwerk zum Schiff hinüber, zurrten es fest, spannten die Pferde auf den Leinpfaden an. Damit die schweren Rösser schief zum Strom hin liefen, legte man ihnen Scheuklappen zur Flußseite hin an. »Schäl Sick« – blinde Seite – nannten die Kölner darum gemeinhin die rechte Rheinseite. Das Gespann wurde mit Schreien, Schlägen und Pfiffen angetrieben, die Rhinghalfen legten sich ins Zeug, und das Schiff bewegte sich gemächlich gegen die starke Strömung, endlich verschwand es gen Bonn.
Zurück blieb Lazarus, die spanischen Briefschaften an den Kaufherrn noch immer in seinen Händen. Er wußte, welche Botschaft sie enthielten, und zögerte, sie zu überbringen. Immer wieder schützte er dringende Angelegenheiten vor, um den Besuch bei van Geldern hinauszuschieben. Zuletzt war seine Entschuldigung, daß er das Begräbnis der Hausherrin hatte abwarten wollen.
Man trug Frau Katharina an einem Sonntag zu Grabe. Ein würdiger Leichenzug, an dem neben den vier Orden der Dominikaner, Augustiner, Karmeliter und Minoriten vornehme Bürger, Ratsherren und Prälaten teilnahmen. An der Spitze des Kondukts schritten zwei Gaffelboten, ihnen folgte das von Meßdienern getragene Pfarrkreuz aus Gold und Kerzenträger mit nicht weniger als acht Wachslichtern, ein Zeichen für die hohe Würde der Toten. Die Alexianerbrüder trugen den mit schwarzem Damast verhängten Sarg. In der Marienkapelle von St. Alban fand die Unglückselige ihre letzte Ruhestätte, und van Geldern schmückte sie mit einer schweren, teuren Platte aus grünem Marmor. Er bezahlte sie aus Katharinas Erbe, genau wie fünfhundert Gedächtnismessen und Ablaßgebete in zwei Klöstern, um die Seele der Verstorbenen von mehr als zehntausend Jahren Fegefeuer zu befreien. Einmal im Monat würden zudem vier Beginen aus dem Konvent Rebeccas auf dem Grabe liegend Stundengebete sprechen. Wenigstens dieser Dienst der Klageweiber kostete van Geldern nichts, Rebecca bot ihn von sich aus an.
Mit steinerner Miene verfolgte ihr Schwager die Zeremonie, zu seiner Linken Columba, zur Rechten Juliana, die sich in köstlichste schwarze Spitze
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