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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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schritt sie die Treppe wieder hinab. In der Vorhalle vertrat der Junker den beiden den Weg.
    »Wohin geht es, mein Täubchen?« fragte er und legte keck seinen Arm um die Hüfte des Mädchens.
    Ärgerlich schob Columba ihn weg und sagte kalt: »Ich begleite unseren Gast bis zum Tor, der Vater wünscht es, Mijnheer van Ypern.«
    »Ah, nun ja, gewiß«, stotterte der Freiherr um Worte verlegen. Dann begriff er, warum van Gelderns Tochter plötzlich so förmlich und kalt zu ihm war. Seine Braut war im Beisein eines Fremden noch schüchtern, solange die Heirat nicht bekanntgegeben war.
    »Dann werde ich Euch ein Stück begleiten«, meinte er munter, »nichts tut dem Leib so wohl wie ein wenig Bewegung.«
    »Oder eine gute Mahlzeit«, sagte Columba, »es ist schon hoch nach Mittag, lieber Herr Fritjof, und der Tag war so anstrengend.«
    Der Junker lächelte sie fast selig an. Soviel Fürsorge, soviel Zärtlichkeit. »Wo du, äh, Ihr es sagt – ich spüre tatsächlich einen gewaltigen Appetit.«
    »Geht in den Morgensaal, ich werde sofort dafür sorgen, daß man Essen aufträgt.«
    Der Junker entfernte sich mit erwartungsfrohem Gang.
    »Er wird ein folgsamer Gatte sein, wenn du ihn regelmäßig fütterst«, flüsterte Lazarus in Columbas Ohr.
    »Ich begleite dich zum Tor«, erwiderte sie ärgerlich.
    Im Schutz des Mauerbogens hielten beide an. »Wegen Tringin«, begann Columba, »was können wir tun?«
    »Cassander, der Gelehrte, der für die Ketzer eintritt, hat große Macht. Vielleicht kann er nichts mehr für Luthger tun, aber das Mädchen könnte er noch retten, wenn sie nur ein wenig Einsicht und Demut zeigt. Du mußt mit ihr sprechen.« Er sah sie eindringlich an.
    Columba biß sich auf die Lippen. »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Sie vertraut mir nicht wirklich, sie sagte nichts von der drohenden Verhaftung.«
    »Sie liebt dich, sie wollte dich schonen, dir die grausamen Fakten verschweigen.«
    »Weil ich«, Columba hob scheu den Blick, »weil ich ein solches Kind bin, nicht wahr? Das willst du doch sagen.« Lazarus lächelte gegen seinen Willen, Columba verstand sein Lächeln nicht und zog sich wieder in sich zurück.
    »Was«, sagte sie, »wenn Cassander keinen Erfolg hat?«
    »Dann gilt es, etwas anderes zu wagen.« Lazarus starrte über ihren Kopf hinweg die Mauer an, sein Gesicht so steinern wie sie.
    »Was meinst du damit?« flüsterte Columba aufgeregt.
    »Nichts, was dich interessieren sollte.«
    »Verflucht! Ich bin kein Kind mehr, begreife es endlich. Ich habe nicht weniger Mut als du.«
    »Es gibt einen Unterschied zwischen Mut und Übermut«, erwiderte der Bartlose ernst und blickte ihr direkt in die Augen.
    »Sage mir, was du vorhast«, beharrte Columba hartnäckig, »woran du denkst.«
    »Ich denke an Karneval.«
    Sie ballte die Hand zur Faust und schlug sie hart gegen seine Brust. »Du bist ein grausamer, alberner Kerl. Warum treibst du solche Spiele mit mir – und meinen Gefühlen.«
    Lazarus fing ihre Faust ab und umschloß sie hart mit der Rechten. »Du täuschst dich, ich spiele nicht. Erst recht nicht mit Gefühlen – im Gegensatz zu dir, kleine Närrin. Was ich meinte, ist ...«
    Das Geräusch von eiligen Schritten unterbrach sie. Es kam von der Straße her und näherte sich durch den Gang. Die Gestalt eines Mönches schälte sich aus dem Dunkel. Weiß leuchtete sein Habit unter grauem Skapulier.
    Mit ernstem Blick näherte er sich Lazarus, der rasch von Columba wegtrat.
    »Lazarus Ossianus?« fragte der Mönch knapp. Der Bartlose nickte. »Ich komme vom Kloster Maria ad Gradus. Cassander ruft Euch.«
    »Weshalb?«
    »Er stirbt und hat noch eine Botschaft für Euch. Er sagt, es sei dringend, eine Sache von Leben und Tod.«
    Lazarus packte den Mönch am Ärmel. »Rasch, bring mich zu ihm!« Grußlos und ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand er mit dem Kirchenmann.
    Von Cassander war also keine Rettung mehr zu erwarten. Langsam und nachdenklich ging Columba in den Hof zurück. Karneval. Was hatte Lazarus damit gemeint, wenn er keinen groben Scherz mit ihr trieb? Bunte Bilder zogen durch ihren Kopf, tanzende Narren, Verkleidungen und Masken. Masken?
    »Columba«, rief eine vorwurfsvolle Stimme vom Hauseingang her. »Ich habe Hunger, behandelt man so einen Gast?«
    14
    A nna sah sich verstohlen in dem leeren Gang vor den Schlafzellen um. Dann schob sie lautlos den Riegel zur Kammer der Magistra zurück und schlüpfte hinein. Unter dem Arm trag sie ein Bündel sauber gefalteter Hauben

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