Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
in meinem armen Herzen, kleidet mich in unsterblichem Glanz und durchleuchtet alle meine Glieder. Meine, der Allerärmsten Hand ist Christus. Nur ihm bin ich anvermählt.‹«
Allgemeines, beifälliges Seufzen.
»Amen«, murmelte Rebecca und schlug das Kreuz. Einige aus der Frauenrunde sahen ihre Meisterin mit wissendem Nicken an.
Anna hob die Augen und betrachtete die Magistra mit listigem Ausdruck. Die Schwestern arbeiteten sittsam und still. Die Schaffnerin räusperte sich und senkte die Stimme zu einem düsteren Zischen. »›Doch dann geschah es, daß der Leibhaftige an sie herantrat, wie er es bei besonders heiligen Frauen zu tun pflegt.‹« Wohliges Erschauern, gedämpftes Entsetzen, endlich kam die Schaffnerin zu den wirklich spannenden Fakten. Nur Rebecca runzelte die Stirn.
Die Vorleserin fuhr ungerührt fort und schilderte mit wachsender Inbrunst in der Stimme die Heimsuchungen Christinas. In Gegenwart der Jungfräulichen zerbarsten plötzlich Fenster, Kleider wurden zerrissen von unsichtbarer Hand. Die heilige Hostie erschien ihr als Kröte. Brandblasen bildeten sich auf ihrem Körper, als stünde sie in Flammen. Sie erbrach Blut in Mengen. Anna machte eine Pause, die Spannung war atemlos. »›Zu Ostern zwölfhundertdreiundachtzig plagten sie nicht weniger als zweihunderttausend Dämonen. Qualvolle Krämpfe suchten Christina heim. Die Augen verdreht, die Haare gesträubt, die Zähne fletschend, dann mit ihnen in Tollwut klappernd, das Gesicht mit allerlei Farben überlaufen, wand sie sich wie eine Schlange und prallte in die Höhe wie ein Federball.‹«
Rebecca erbleichte. Warum hatte Anna heute eben diesen Text gewählt? Kannte sie kein Zartgefühl, wußte sie wirklich nicht, daß eine solche Schilderung sie an die Leiden der armen Schwester, den Tod Katharinas erinnern mußte?
Anna hob wieder an. »›Wer mit Christina Umgang hatte, stand in Gefahr. Ihr Vater wurde mit Steinen von Unsichtbaren beworfen, andere schnitten sich in ihrer Gegenwart in die Finger, ihnen faulte das Fleisch, sie empfingen Wunden voll wimmelnder Würmer. In der Kirche kam der Dämon und riß zwei Fische aus der Schüssel, beschmutzte die letztere und warf sie mit dem Kot in die verschlossene Beginenklause.‹«
Ekel machte sich in den Gesichtern ihrer Zuhörerinnen breit.
»›In ihrem Essen sah Christina Kröten, Schlangen und Spinnen. Sie hörte auf zu essen, um nicht weiter davon gequält zu werden.‹«
Der mächtige Leib der Kornmeisterin zitterte, sie schüttelte sich. »Wie unsagbar gemein der Böse ist«, sagte sie empört. Rebecca mußte leise lächeln, doch bei den nächsten Worten Christinas erstarb alle Fröhlichkeit in ihr.
»›Eines Nachts kam der Teufel und rammte ihr spürbar eine Lanze in den Leib und den Mund, so daß sie große Mengen Blut erbrach und doch Wollust dabei empfand. Immer wieder stieß der Leibhaftige zu und sang dabei: Ich bin dein Gott. Ich bin dein Gott. Am Ende meinte Christina, Christus sei so veranlagt wie jeder Mann und die Hölle das Himmelreich.‹«
Schrill stieß Anna die letzten Sätze hervor, so als erschauere sie selbst unter dem machtvollen Leib Satans.
Die Nadeln in den Händen einiger Beginen zitterten wie ihre Hauben. Wie schrecklich, wie tückisch, wie lüstern doch der große Versucher war. Die reine Gottesminne einer Jungfrau so zu besudeln.
»Anna«, Rebecca unterbrach ärgerlich den Vortrag, »es ist genug und an der Zeit, daß du uns von der Erlösung Christinas erzählst, denn nur darum werden ihre schrecklichen Versuchungen in so intensiven Farben gemalt.« Sie brach ab und biß sich auf die Lippen.
Beschämt schlugen einige Mitschwestern die Augen nieder. Die Schaffnerin aber warf Rebecca einen triumphierenden Blick zu. »Erlösung? O gewiß. Wie ich schon sagte, aß Christina kaum mehr. Dazu trug sie stets einen Bußgürtel und Schuhe ohne Sohlen, sie schlief in Kreuzform auf dem nackten Boden, und endlich sah sie das Jesuskind in der Hostie, und ihre Hände und Füße wurden des Nachts von Nägeln durchbohrt. Sie trug die Wundmale Christi und sagte: ›Ich kann nicht irren, denn ich habe einen Lehrer und Meister, der mich und die Menschen liebevoll unterweist.‹« Anna schlug das Buch zu und schloß:
»Zwölfhundertachtundachtzig endeten die Visionen, und ihre restlichen vierundzwanzig Jahre lebte Christina in Ruhe. Freilich gab und gibt es Menschen, die die verehrungswürdige Christina für eine schändliche Betrügerin halten.«
Einige ihrer
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