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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Mitschwestern räusperten sich enttäuscht. Rebecca aber wußte nun, warum Anna eben diesen Text gewählt hatte. So schmerzlich es war, sie mußte es sich eingestehen: Die Schaffnerin, der sie soviel Gutes getan hatte, hegte eine tödliche Feindschaft gegen sie.
    »Laßt uns zu Bett gehen und für Christina beten«, schloß sie die Versammlung, »damit ihr Beispiel uns tröste und erleuchte. Rettung gibt es für jede Seele.« Mit bedeutungsvollem Blick schaute sie Anna an, die aber schien in Gedanken fern von hier.
    15
    U msonst, alles umsonst. Das Fest, die Ehrbezeigungen, die Ausgaben und Schmeicheleien – alles umsonst. Mit zusammengekniffenen Augen überflog van Geldern das letzte Schreiben. Der König hatte eine fast dämonische Lust an Tinte und Papier, langatmig und umständlich waren seine Worte. Die Schrift groß, schwer, verschlossen, seine Buchstaben begannen alle mit Spiralen im Inneren, und die Kurven schlossen sich nach außen ab, als hielten sie mühsam an einem Geheimnis fest. Dabei war der Sinn der Botschaft für den Geschäftsmann van Geldern unmißverständlich. Wütend schleuderte er das Schriftstück zu Boden. Das Siegel von billigstem Blei – nein, nicht einmal dafür reichte Philipps Silber noch – schlug dumpf und ohne Klirren auf.
    Gewiß, der spanische König bot ihm in höchst zeremoniöser, herablassender Weise weitere Privilegien als Ersatz für das ausbleibende Geld an, darunter einen Titel. Aber mit dem war nicht einmal eine winzige Pfründe verbunden. Und zum Ritter hatte ihn bereits der Vater, Kaiser Karl V., gemacht. Sollte er sich etwa geschmeichelt fühlen, weil ein so mächtiger Herrscher die Tatsache, daß seine Kriegspolitik ihn zum Bankrotteur machte, hinter soviel Buchstaben verbarg? Papier, nichts als Papier, davon hatte er genug.
    Mit wütendem Gesicht erhob sich der Kaufmann, trat hinter dem Schreibtisch vor und betrachtete den immer noch am Boden liegenden Blechkerl. Ein treffliches Bild für die Hoheit der Könige, die sich alle noch für Ritter hielten. Ritter des Glaubens, Ritter der Welt, alles einerlei. Die am Alten festhielten, waren doch alle längst verloren. Rostiger Schrott, vergangener Glanz, mochten sie an ihren Höfen auch noch so viele Turnierspiele zelebrieren: Eine verkommene Mode war dieses vorgeblich fürstliche Rittertum, sonst nichts. Es lag kein Verdienst darin, nicht für ihn jedenfalls.
    Er trat so heftig nach einem fein ziselierten Beinschoner, daß er scheppernd und kratzend über die Fliesen trudelte. Van Gelderns Blick folgte ihm. Im Geiste rechnete er die Einnahmen hoch, die ihm Katharinas Erbe gebracht hatten. Eine stattliche Summe, wenn er sie nicht auf seine Schulden verwenden, sondern klug investieren würde. Langfristige Leihgeschäfte verboten sich ihm momentan. Wenn er nur einen einträglichen neuen Markt fände, auf dem schnelles, hitziges Geld zu verdienen war. Wieder fiel sein Blick auf die zerschlagene Rüstung. Gute Handwerksarbeit. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Aus dem Dunkel der Gedanken tauchten die Gesichter der Waffenschmiede auf, die sich beim Empfang des Rates an Don Cristobal herangewagt hatten. Eine gefährliche Sache, der Waffenhandel. Gefährlich, aber einträglich, man mußte ihn unter einem Deckmantel betreiben.
    Langsam fügte sich das Chaos in ihm zu einem Bild. Die gärenden Niederlande, die drohende Lähmung des Antwerpener Marktes, das Volk, das nach Vergeltung schrie, und die Fürsten, die sich bereits aufbäumten zum Kampf gegen die spanischen Herren in ihrem Land. Königin Elisabeth von England, so hieß es, gab ihnen heimlich Geld und Waffen, um Philipp in Schach und von einer Unternehmung gegen ihr Inselreich abzuhalten.
    Möglichkeiten, lauter Möglichkeiten. Wäre er nur jünger, tauglicher für ein so wagemutiges Geschäft, er würde es unternehmen. Ihm fehlte es nicht an Tollkühnheit, auch Verbindungen ließen sich knüpfen, Waffen heimlich erwerben – vor Kölns Toren lagen Pulvermühlen, die Arkebusen aus den Werkstätten der Domstadt waren berühmt in ganz Europa.
    Was ihm fehlte, war ein Mann, der lachend jede Gefahr verachtete, einer, dem er bedingungslos vertrauen konnte. Doch war Vertrauen nötig und der richtige Weg? Er hielt sich lieber an die Weisheit Machiavellis, der riet, daß Mißtrauen gegen die Menschen unter dem Anschein der Zuneigung bei weitem sicherer war. War also nicht einer besser, der zur Not auch zu opfern war, dem man bei Entdeckung die Schuld zuschieben konnte? Einer wie

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