Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
das schwarz gebundene Buch einem der Schöffen, der es mit strenger, fast angewiderter Miene in Empfang nahm.
Columba zerrte verzweifelt an Tringins Arm. »Nun mach endlich, geh. Sie sind bald am Ende. Sie werden dich holen. Nur einige Fragen noch, dann bist du dran.«
Widerwillig ließ Tringin sich vom Fenster fortziehen. Mit traurigen Augen sah sie Columba an, dann holte sie aus und schlug der Freundin so hart ins Gesicht, daß diese taumelte und zu Boden ging. Ruhig sah sie auf Columba nieder und nahm auf der Pritsche Platz.
4
D ie Morgenmesse war gelesen, der Duft von Weihrauch hing noch in der Luft, als Juliana in einem weißen Samtgewand langsam die Treppe von der Hauskapelle in das sich leerende Kirchenschiff hinabstieg. Eine kleine Mesnerin verteilte Buchsbaum und Tannenzweige in den Vasen vor den Heiligenbildern. Juliana wartete in einer Kirchenbank, bis auch sie – nach einem Knicks vor der Jungfrau Maria – verschwand. Rasch erhob sich Juliana und glitt mit leisen Schritten hinüber zur Sakristei. Schon wollte sie die Tür aufstoßen, als sie dahinter aufgeregte Stimmen vernahm. Die des Mannes erkannte sie sofort und hörte sie mit wohligem Schauer. Der Diakon sprach. Ein aufgeregtes Weib unterbrach ihn schrill, Juliana preßte ihr Ohr gegen das Holz.
»Wenn ich es doch sage, ehrwürdiger Vater. Sie erbrach Blut und rief alle Heiligen und Engel des Himmels um Hilfe an. Wenn Ihr mir nicht glaubt, fragt die anderen Schwestern. Ihr müßt kommen und das Mysterium in Augenschein nehmen. Vielleicht hat ja der Teufel die Hand im Spiel.«
»Schweig, Nichtswürdige!« kam es barsch vom Diakon. »Was sollte der Leibhaftige mit einer so Tiefgläubigen zu schaffen haben? Sie ist reiner als die Seelen aller Jungfrauen der heiligen Ursula. Ihr Geist ist so klar und erleuchtet wie der keines anderen Weibes.«
Juliana biß die Zähne aufeinander, nie hatte sie soviel Leidenschaft, soviel zärtliche Besorgnis in der Stimme des angebeteten Mannes vernommen. Für welche Frau warf er sich so lebhaft in den Kampf? Unmöglich konnte es Melina sein.
Kurze Stille, dann kam es wie schmeichelnd von der Weiberstimme. »Gewiß ist sie eine der edelsten meines Geschlechts. Eine wahrhaft Berufene. Aber ist es nicht so, daß der Satan stets die Frömmsten in Versuchung führt? Nicht alle widerstehen ihm. Die Legenden der Heiligen beweisen es.«
»Die Legenden beweisen auch, daß die Zweifler am Ende bestraft werden. Denke an die Heilige Brigitta von Schweden. Ihren Ankläger traf der Schlag, seine Leiche stank so sehr, daß die Totengräber sich weigerten, ihn fortzutragen. Und heute hat Brigitta die Ehre der Altäre erlangt. Ich weiß, daß es Rebecca nicht anders ergehen wird. Hüte dich also, bevor du Verdächtigungen streust.«
Wieder Stille. Dann sagte die Frau mit fester Stimme: »Wenn Ihr es so genau wißt, warum prüft Ihr sie dann nicht? Sicher verfügt Ihr über die Gabe der discretio spirituum. Stellt fest, um welche Geister es sich handelt, die die Magistra heimsuchen. Ich weiß, daß Rebecca an Eurem Trost und Beistand größten Gefallen fände.«
Diesmal war das Schweigen endgültig. Juliana meinte das Rascheln von Stoff zu hören. Eilige Schritte näherten sich der Tür. Ihr blieb eben noch Zeit, in eine Kirchenbank zu schlüpfen und die Hände zu falten, schon stürmte der Diakon in das Kirchenschiff, rauschte an ihr vorbei, der Saum seines dunklen Mantels schleppte auf den Steinen nach.
Eine Frau in grauer Tracht folgte ihm auf den Fersen. Sie war aufmerksamer als der Kirchenmann. Ihr Blick traf den Julianas, sie beugte kurz das Haupt unter der grauen Haube. Schon war auch sie vorbei, wenig später fiel dumpf die Seitentür ins Schloß.
Juliana mühte sich nicht, den Namen der Begine zu erinnern, sie war nur die unbedeutende Schaffnerin. Ein anderer Name hielt ihre Gedanken gefangen: Rebecca. Zornig fegte sie ein liegengebliebenes Gesangbuch zu Boden. Dieser elende Heuchler, dieser trügerische Bock! Dann sank sie langsam wieder auf die Bank. Was hatte die elende Schaffnerin von Rebecca gesagt? Blut spuckte sie und rief alle Heiligen des Himmels um Hilfe an? Sie mußte den Konvent besuchen. Sie mußte herausfinden, was dort vor sich ging, und vor allem, welche Leidenschaft den Diakon so eilig dorthin trieb. Liebe? Nein, das konnte es nicht, das durfte es nicht sein. Die grüne Schlange Eifersucht würgte Julianas schönen weißen Hals.
5
M it ruhiger Sorgfalt leerte der Pulvermacher aus kleinen
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