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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Fässern sechs Teile Salpeter, einen Teil Schwefel und einen Teil Lindenholzkohle in den großen, muldenförmigen Steintrog, über dem ein mächtiger Stampfbalken schwebte. Neben ihm tauchte sein Knecht eine Schöpfkelle in einen Bottich und hielt dem Pulvermacher die sauer und stechend riechende Flüssigkeit unter die Nase. Der Meister tauchte einen Finger hinein und legte ihn an die Zunge.
    »Zu wenig Essig«, brummte er.
    Der Knecht stellte die Kanne ab und lief aus dem kleinen dunklen Mühlenhaus zu dem Vorratshaus im Hof. Der Pulvermüller lächelte verstohlen, dann knöpfte er sich die Hose auf und stellte sich breitbeinig vor den Bottich. Ein zögerndes Tröpfeln, dann verriet aufrauschendes Plätschern seine Verrichtung.
    »Das also ist Euer Geheimnis, Rutger!« rief ihn eine Stimme von der Tür her an.
    Der Büchsenmeister fuhr herum, die Hände am Hosenlatz. »Verfl ...« Er unterbrach sich verblüfft. »Arndt van Geldern! Welch hoher Besuch. Was treibt Euch zu so früher Stunde hier heraus vor die Stadt?«
    »Euer berühmtes Schwarzpulver.«
    Rutger sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Der Kaufmann fuhr in scheinbar argloser Plauderlaune fort: »Ihr feuchtet es also nicht nur mit Essigwasser, sondern auch mit Harn an.«
    Rutger nickte seufzend. »Ja, aber Ihr sollt verdammt sein, wenn Ihr das meinen Gesellen verratet. Erst Männerharn macht ein Pulver hochbrennbar, das wissen nur die Besten unseres Fachs.«
    »Seid versichert, daß Geheimnisse bei mir so gut verwahrt sind wie bei Euch.«
    »In meinem Geschäft sind Geheimnisse lebensnotwendig.«
    »Ihr seid ein Mann nach meinem Geschmack. Ich habe Euch etwas vorzuschlagen.«
    Der Knecht kehrte mit einem Steinkrug zurück und füllte weiteren Essig in den Bottich.
    »Gib stetig von der Flüssigkeit hinzu, sobald der Stampfbalken hinabstößt«, wies ihn sein Meister an. »Das Pulver darf nicht trocken zermahlen werden, sonst sprengt es uns alle in die Luft.«
    Er machte van Geldern ein Zeichen, und beide traten vor die Tür in den geschäftigen Hof der Pulvermühle. Der Meister machte ein Zeichen zu den Knechten im Tretrad, das über Zahnräder und Gestänge den Stampfbalken über dem Bottich antrieb. »Fangt an!« befahl er den Männern. Unter ihren kräftigen Tritten setzte sich das Rad schwerfällig und knirschend in Gang. Bald ertönte das dumpfe Stampfen des Balkens aus der Mühle. Befriedigt nickte Rutger und wandte sich an seinen Gast: »Ich muß noch die Trockenhäuser kontrollieren, danach lade ich Euch gern auf einen Krug Bier in meine Stube.«
    »Ich begleite Euch«, bot van Geldern leutselig an und bekundete großes Interesse am Handwerk seines Begleiters. Gemeinsam betraten sie eine langgestreckte gemauerte Halle, in der Pulvermehl zu Kuchen gepreßt, getrocknet und schließlich zerschlagen wurde, so daß es in kleinere und größere Körnchen zersprang.
    Rutger tauchte seine Rechte in einen Bottich solcher Körner und ließ sie langsam durch seine Finger rieseln. »Das ist das beste Knollenpulver, das sich im Umkreis von hundert Meilen finden läßt«, sagte er stolz. »Wenn es erst gesiebt und vollständig getrocknet ist, widersteht es der Feuchtigkeit und reagiert beim Zünden so heftig, daß den Feind die Kugel trifft, bevor er seine Seele Gott anbefehlen kann.«
    Sie schritten die langen Reihen von Rüttlern, Trichtern, Sieben und Trockenladen ab, an denen emsig gearbeitet wurde. Am Ende der Halle wurde fertiges Schießpulver in mit Zinnfolie ausgeschlagene Fässer verpackt, die man fest verschloß und endlich aus der Halle hinaus zum Pulvermagazin rollte, das doppelt mit Blei gedeckt war, um das Eindringen von Regen zu verhindern.
    Van Geldern betrachtete den steinernen Bau mit beifälligem Blick. »Ein festes, schönes Haus, darin lassen sich gewiß viele Tonnen Eures Pulvers sicher lagern.«
    Rutger seufzte. »Mehr Tonnen, als mir lieb sind. Es ist voll bis unter das Dach. Nur an den städtischen Büchsenmeister habe ich kürzlich ein paar Faß geliefert. Der gewaltige Rest ist nutzlos, solange die lästigen Handelssperren die Ausfuhr nach den Niederlanden und England verbieten.«
    Beide Männer legten die Hände auf den Rücken und schlenderten zum Wohnhaus des Pulvermachers, einem ehemaligen Bauernhaus, das von Feldern umgeben, eine halbe Meile vom Severinstor entfernt lag. Ein Abstand, der sicher genug war, um bei einer möglichen Explosion der Pulvermühle die Stadt nicht zu gefährden.
    »Warum liefert Ihr nicht nach

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