Die Visionen von Tarot
unklaren blieb, sondern überhaupt nicht wußte, daß man ihn derart beurteilt hatte. Das war ein wettbewerbsmäßiger Nachteil, der sich auf das gesamte weitere Leben auswirken würde. Als ob man Poker spielte, und jeder andere konnte einem in die Karten sehen, nur man selber nicht. Bruder Paul kannte sich im Poker nur allzugut aus, und die Analogie quälte ihn. Hier stand seine Botschaft in fremder Sprache, und von allen Parteien, die ihm hätten den Inhalt verdeutlichen können, hatte dies nur eine getan: der Heilige Orden der Vision. So hatte er das schreckliche Geheimnis mehr oder minder durch Glück entdeckt. „Alma Mater, wie konntest du mir das antun?“ schrie er mit einem Gefühl, als bräche ihm das Herz.
Zu Anfang der Abschrift fand er eine Bemerkung, die besagte, das College zöge es eigentlich vor, keine Zensuren zu erteilen, sei aber wegen der Anforderungen von außen dazu gezwungen. Eine weitere Notiz warnte den Leser, es dem Betroffenen keinesfalls zu gestatten, diese Akte zu lesen. Kein Wunder!
Paul hatte die Lehrpläne mehr oder minder naiv durchlaufen: vier Jahre lang ohne Angst vor Zensuren oder Status. Das war das Schöne an dieser Zeit gewesen. Er hatte sich sein Wissen eklektisch gesucht, um des Lernens willen – und nun war es durch diese Heuchelei zunichte gemacht worden.
Nein, nein – das war ein ungerechtes Urteil. Die zensurenlose Umgebung hatte ihn zu einer besonderen Disziplin gezwungen. Es war leicht, in Stagnation zu versinken, wenn man nicht unter dem Druck von Prüfungen und Zensuren stand. Eine ganze Reihe von Studenten hatten sich so verhalten und waren allmählich aus den Kursen herausgefiltert worden. Andere hingegen betrachteten es als Herausforderung – zu lernen, davon zu profitieren und sich zu entwickeln, ohne einen offiziell strukturierten Stimulus. Und wenige, wie auch Paul, hatten statt dessen die reine Freude am Lernen entdeckt. Das Wissen von Fakten war ein Weg, der zur Erkenntnis selbst führte. Eine Zensur an sich bedeutete nichts – es war die Haltung dazu, auf die es ankam.
Dieser Prozeß war kaum beendet gewesen, als Paul das College verließ. Er hatte beim Verlassen dieser schützenden Umgebung ernste Probleme gehabt, wie es seine Erfahrung mit der Mnem-Droge gezeigt hatte. Aber der Grundstein war gelegt, und nach einiger Zeit hatte er weiter daran gebaut, und nun lernte er jedes Jahr mehr als in seiner gesamten Collegezeit. Das war keine Herabwürdigung jenes Bildungssystems, sondern seine Erfüllung. Lernen lernen – das war echt gewesen, wenn auch das System selber sich als falsch herausgestellt hatte.
Aus Gutem mußte Gutes kommen und aus Bösem Böses, dachte er in Gedanken an Buddha. Statt dessen war er auf ein Gebäude von Sätzen gestoßen, von denen der eine besagte, der andere sei falsch, und der andere sagte, der erste stimme nicht. Ein Paradox. Irgendwie war Gutes aus Bösem entsprungen.
„Wenn du doch nur an dich selbst geglaubt hättest, o College-Verwaltung!“ murmelte er, mehr bedauernd als zornig. „Du hast soviel mehr geschafft, als du wußtest – wenn du nur mehr Zutrauen besessen hättest!“
Doch sie hatten die Zensuren unter Protest erteilt und sie unter dem Deckmantel der Heimlichkeit verborgen. Es war also von ihrer Seite teilweise eher ein Vertrauensmangel als ein vollständiger Vertrauensbruch. Auch das Fleisch des Colleges war also schwach.
Paul besah sich die einzelnen Zensuren für die verschiedenen Seminare an – und erhielt noch einen Schock. Sie entsprachen nicht der Realität.
Er vertiefte sich in die Papiere und las die Beurteilungen. Langsam wurde es ihm deutlich: Dies hier waren in der Tat seine Zensuren – aber nicht so, wie er sie verstanden hatte. Denn sie gaben kaum ein Drittel der Gesamtheit oder das, was ihm von den Beurteilungen seines Tutors bekannt war, wider. (Vor Will Hamlin hatte er drei verschiedene Tutoren gehabt.) Es waren die Meinungen der Lehrkräfte – genau wie bei anderen Schulen. Daher waren die Kurse, die auf Paul den größten Einfluß ausgeübt hatten, nur mit B oder C beurteilt und diejenigen, die einem bestimmten Lehrer am meisten am Herzen gelegen hatten, mit A. Das letzte war absolut richtig, aber auch bei den anderen traf dies zu, und dort hatte er niedrigere Zensuren bekommen. Der Leistungsunterschied war nicht so sehr von Paul ausgegangen, sondern von den Lehrern. So war also auch das Beurteilungssystem falsch.
Darüber hinaus hatte man Paul einige Kurse überhaupt nicht
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