Die Voegel der Finsternis
danach greifen konnte, hatte Bern sich schon gebückt und es aufgehoben. Diesmal war ihr Tritt zu schwach, sie konnte es ihm nicht aus der Hand schlagen. Er schlitzte ihre Jacke auf und fuhr mit der Klinge an ihrem Schlüsselbein entlang. Sie spürte eine stechende Kälte, als sei die Klinge aus scharfkantigem Eis. Sie zitterte heftig, als Bern das Messer von neuem gegen sie zückte. „Wer soll die Erste sein?", sagte er. „Du, Sara? Oder die anderen, die wie Trottel meinem König den Weg versperren?"
Sara machte einen Satz nach hinten. Der Boden bebte und der Krach von draußen wurde stärker. Bern kam mit erhobenem Messer auf sie zu, geduckt wich sie aus, stolperte, versuchte, ihn von Dorjan und Maeve abzulenken.
„Sara, ich könnte bis zum Morgen mit dir tanzen", sagte er kaum merklich keuchend. „Aber du bist keine besonders gute Tänzerin und außerdem warten andere auf mich. Es ist an der Zeit, dass wir uns verabschieden."
Nach allen „Seiten wich sie seinen Messerstichen aus und verlor immer mehr an Boden. Sie stolperte, richtete sich wieder auf, stolperte aufs Neue. Die Kälte in ihrer Brust ließ ihr Herz fast zu Eis gefrieren.
Dem nächsten Stoß wich sie durch einen Seitschritt aus. „Du bist ein Nichts, Bern, und du wirst niemals etwas anderes sein." Mit zitternden Knien glitt sie nach hinten zum Eingang, um ihn von Dorjan und Maeve fortzulenken.
Er wartete, bis sie fast an der Tür war, zwischen ihnen lagen nur wenige Schritte. Er bleckte die Zähne, sein Arm holte nach hinten aus. Dann warf er das Messer. Sara duckte sich verzweifelt, hörte es an ihrem Kopf vorbeizischen und sah, wie es in der Wand stecken blieb. Sie packte den Griff und zog. Es war, als versuchte sie, einen Baum aus der Erde zu reißen. Hinter sich hörte sie Berns höhnisches Lachen. Sie hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht an das Messer. Mit einem plötzlichen Ruck löste es sich aus der Wand und sie fiel rücklings auf den Boden. Rasch schwang sie sich herum und sah Bern auf sich zukommen.
„Ein Nichts", flüsterte sie und warf das Messer. Die Klinge traf seine Brust. Er rannte weiter, aber schon nach wenigen Schritten fiel er längs über die Türschwelle, zuckte ein paar Mal und blieb bewegungslos liegen.
Sara lag keuchend da. Sie konnte kaum fassen, was sie getan hatte. Drüben, in der Mitte des Raums, saßen Dorjan und Maeve und schienen nichts von allem zu bemerken. Ihre Hände glitten immer noch über den Boden, und obwohl sie beide die Augen geschlossen hatten, schien jede Bewegung ihrer Hände genau aufeinander abgestimmt zu sein.
Sara lehnte an der Wand und betrachtete Berns toten Körper. Ein kleines Blutrinnsal floss über den Boden zu dem glitzernden Rundrelief, das neben dem prächtigen Schwert eingraviert war, das sie schon bei ihrer Ankunft bemerkt hatte. Der Kreis erinnerte sie an die Kristallkugel ihrer Mutter und das Schwert ähnelte dem legendären Schwert von Bellandra.
Warum trocknete Berns Blut nicht? Es floss immer schneller und versickerte in den dünnen Rissen der Bodenreliefs.
„Nein!", schrie Sara. „Du bekommst sie nicht. Du bist tot Tot!"
Sie riss sich die Strickjacke vom Leib und warf sie über das Blut, das sich immer weiter ausbreitete. Dort, wo das Blut versickerte, färbten sich die Diamanten des Kristalls grau und das Silber des Schwerts wurde matt wie Blei. Sara zitterte am ganzen Leib, als sich ein Gedanke in ihrem Kopf festzusetzen begann. Hier in diesem Raum hat Bern Bellandras Gegenstände magischer Kraft verletzt. Dieser Ort muss irgendwie mit dem echten Schwert und dem echten Kristall verbunden sein . . . und mit meinen Eltern. Das Grenzhaus hatte Dorjan den Ort genannt. Sara sah wieder zu Dorjan und Maeve, auf ihre Hände, die rätselhafte Muster über den Traumwenstein woben. Was hatte Bern gesagt? „Zu spät,. Die Burg zerfällt und mit ihr das Grenzhaus."
Hundert Dinge wollte sie Dorjan fragen, aber er und Maeve waren in ihre Arbeit versunken. Sie wusste nicht, was sie taten, aber sie wusste, dass sie nicht gestört werden durften. Sara raffte sich auf, ihre Wunde schmerzte wie von stechenden Eisnadeln, ihr ganzer Körper war von blauen Flecken übersät Sie ging an Berns Körper vorbei zur Tür und sah auf die Trümmer der Burg hinaus.
Wie lang hatte sie mit Bern gekämpft? Lang genug, dass der Morgen dämmerte. Viele Gebäude waren zusammengefallen. Der Glockenturm stand merkwürdig schief. Menschen gingen benommen hin und her, ihre Gesichter verständnislos
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