Die Voegel der Finsternis
glichen. „Guten Tag, ich heiße Nina", sagte sie und bedauerte, dass sie ihn anlügen musste. „Und das ist meine Tochter Sara." „Dorjan", antwortete der junge Mann. Er gab erst Torina, dann Sara die Hand. „Ist das Tor verschlossen?", fragte Sara.
Dorjan nickte. Hinter dem Tor sah Torina ausgedehnte Anlagen gepflegter Beete. Unter verschiedenen Kräutern erkannte sie Lavendel und Salbei. Hinter dem Kräutergarten zogen sich bewaldete Hänge steil zu den zerklüfteten Felsspitzen hoch. Westlich des Gartens führte ein Pfad einen sanften Hügel hinauf. Er war mit rosa glitzernden Steinen gepflastert. Rosenquarz? Hinter dem Hügel sahen die Dächer mehrerer stattlicher Gebäude hervor, sie wurden von einem Glockenturm überragt, dessen Glocken wie reines Silber glänzten. Nun erklang das Geräusch von Wagenrädern, die über lehmigen Boden rollten, und das Klirren von Zaumzeug. Eine Kutsche machte am Tor Halt. Unter ihrer dicken Staubschicht war zu erkennen, dass sie frisch gestrichen und ihr Aufsatz aus neuem Leder gefertigt war. Sie wurde von einem Gespann gleichartiger Pferde mit modischem, orangefarbenem Geschirr gezogen. Der Kutscher sprang ab, um seinem Fahrgast den Verschlag zu öffnen. Ein junger Mann stieg heraus. Er lächelte, kaum dass er seinen Kopf aus der Kutsche gesteckt hatte. „Danke, Garen, dass du mich hergefahren hast", sagte er zu dem Kutscher. „Und nun gib mir mein Gepäck und mach dich auf den Weg. Es wird Zeit, dass ich ein bescheidener Student werde." Er kicherte. Garen reichte dem jungen Mann zwei schön gearbeitete Reisetaschen, die dieser behutsam abstellte. Dann kletterte der Kutscher auf seinen Bock, wendete und fuhr davon.
„Guten Abend, guten Abend!", sagte der junge Mann und trat ans Tor. Er küsste Torina die Hand. „Verzeiht den Staub, gnädige Frau. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Bern. Ich werde in der Burg der Heiler studieren. Ich besitze die Gabe der Draden." Torina schluckte verlegen. Sie hatte plötzlich ein ungutes Gefühl, wusste aber nicht, warum. Das konnte doch nicht mit diesem reizenden jungen Mann zusammenhängen? Seine Gesichtszüge waren wie gemeißelt - volle Lippen, gleichmäßige Zähne, hohe Wangenknochen, breite Stirn. Seine Haut war wie Seide und in seinen blassgrauen Augen lag ein aufrichtiges Funkeln. „Ich wusste nicht, dass es auch die Gabe der Draden gibt", sagte sie.
„Aber ja. Sie unterscheidet sich von den heilenden Gaben und steht nicht auf der Liste. Es setzt eine besondere Kombination von Fähigkeiten voraus, um die Aufgaben der Draden zu erfüllen und über die Gesetze der Burg zu wachen. Seitdem es hier Heiler gibt, hat es auch Draden gegeben. Die Heiler mögen die Seele der Burg sein, doch es sind die Draden, die dafür sorgen, dass die Heiler arbeiten können." Arbeiten können?"
Ja, gnädige Frau. Die Heiler heilen und lehren. Die Draden erledigen den Rest. Ich versichere Euch, die Heilersucher schauen ebenso eifrig nach Draden aus wie nach Lyrenern oder Avienern." „Dann ist Eure Gabe bereits bestimmt worden?"
„Ich warte noch auf die offizielle Entscheidung von Ellowen Renaiya", sagte er leichthin, „aber das ist eine reine Formalität. Es heißt, sie sei eine außergewöhnliche Mystikerin."
Eine Mystikerin. Eine Seelenschauerin. Was bedeutet das? „Eine Mystikerin erkennt die Gaben der anderen", fuhr Bern fort, als habe sie ihre Frage laut ausgesprochen. „Natürlich sind alle Heilersucher Mystiker, doch kaum einer ist so gut wie Ellowen Renaiya." Er lächelte. „Aber nun zu wichtigeren Dingen", er zeigte auf Saravelda, „das ist Eure Tochter?"
,Ja. Darf ich Euch mit Sara bekannt machen?" Bern ergriff Saras Hand mit beiden Händen. „Bitte sag, dass du auch die Gabe der Draden besitzt", sagte er bewundernd.
Sara lächelte. „Ich möchte tanzen wie die Trianer." Bern beugte sich über ihre Hand. „Die Anmut dazu hast du bestimmt."
Torina wandte sich zu Dorjan, der dem Gespräch schweigend gefolgt war. „Besitzt Ihr auch die Gabe des Heilens?"
„So wurde mir gesagt." „Ihr stammt aus Emmendae?"
Dorjan nickte. Er legte seine Hand auf den Türriegel und rüttelte ein wenig.
„Versiegelt", erklärte Bern. „Nur ein Ellowen kann das Siegel eines anderen Ellowen öffnen." Er zwinkerte Sara zu.
„Ihr wisst eine ganze Menge über die Burg, Bern", sagte Torina und versuchte nun selbst, den Riegel zu bewegen. Eine unsichtbare Kraft schien ihn zu halten. „Ich bin der Neffe der Oberdradin Hester",
Weitere Kostenlose Bücher