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Die Voegel der Finsternis

Titel: Die Voegel der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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über die Felskante baumeln. Er bedeutete Sara, sich neben ihn zu setzen. Es machte ihr Spaß, ihre Beinen hoch über dem Meer baumeln zu lassen. Sie nahm einen Kieselstein, der von der Sonne ganz warm war. Sie warf ihn und beobachtete, wie er in einem hohen Bogen von ihrer Hand über die stille Wasserfläche flog und dann mit einem leisen Klatschen tief unter ihr versank. Jetzt erzähle - wie war das in der Nacht?"
    „Du warst doch auch da. Was soll ich dir erzählen?" Seine Augen erinnerten sie an Lapislazuli in einer Fassung aus edlem Holz.
    „Ich weiß, was ich gesehen habe. Aber ich weiß nicht, was du gesehen hast."
    Er verschränkte seine Hände über den Knien. „Ich habe den Vogel gesehen, der sich auf dich stürzen wollte. Ich habe geschrien, um dich aufzuwecken. Dann war ich in deinem Zimmer und dann war ich wieder in meinem Bett."
    Sara zitterte. Dorjan war in ihrem Traum gewesen! War er mittels ihres Traums in ihr Zimmer gekommen? Unmöglich.
    Der Himmel begann sich zu drehen und verschwamm mit dem Meer. Dann drehte er sich noch heftiger und auch der Boden verschwamm unter ihr. Selbst der Fels schien ins Wanken zu geraten. Sie langte nach etwas
    Festem, da zogen Dorjans warme, raue Hände sie vom
    Felsrand fort.
    „Sara", sagte er, „Sara."
    Sie fing sich wieder und wartete, bis sie wieder klar sehen konnte, während Dorjan ihre Hände massierte. „Tut mir Leid, Dorjan. Ich weiß nicht..." Ich weiß überhaupt nichts!
    Behutsam ließ er ihre Hand los. „Ist schon gut", sagte er. „Ich weiß es auch nicht. Was mit diesem Traum passiert ist, habe ich auch noch nie erlebt." Er blickte über das Bellanmeer und in diesem Augenblick kam er ihr ganz fremd und weit fort vor. Viel fremder als durch seine Herkunft aus Emmendae erklärbar war. Er machte den Eindruck, als wäre er über den Rand der Welt hinausgeschritten und hätte Dinge gesehen, von denen Sara sich keine Vorstellung machen konnte. Doch dann sah er sie wieder an und sagte: „Wollen wir Kräuter sammeln? Wir müssen zurück, bevor die Knochenheilstunde beginnt."
    Ellowen Renaiya schloss die Tür hinter sich. In der Abgeschiedenheit der Halle der Seelenschauer wollte sie in Ruhe über die Gaben der Neuankömmlinge nachdenken.
    Das von Baumwollvorhängen gedämpfte Sonnenlicht schien auf einen kleinen Tisch mit einem besänftigenden Blumenarrangement. Die Luft war mit Rosmarin parfümiert, dessen Duft der Klärung der Gedanken diente. Renaiya ließ sich an dem Tischchen nieder. Sie hoffte, Dorjan würde sich als Mystiker erweisen - die Unterrichtung neuer Seelenschauer war ihr ein besonderes Vergnügen. Wir sind weiß Gott nicht genug. Alle anderen Seelenschauer waren in den Königreichen auf der Suche nach neuen Schülern unterwegs. So musste Renaiya ganz allein der starken Hester standhalten. Renaiya seufzte und wünschte sich fast, ihre Gabe wäre weniger stark ausgebildet Jeder Mystiker konnte das Vorhandensein einer Gabe erkennen, Renaiyas Besonderheit aber, die Benennung der jeweiligen Gabe, erforderte besondere Fähigkeiten.
    Nun wandte sie ihre Aufmerksamkeit Dorjan zu. Der junge Mann gab Anlass zu Meinungsverschiedenheiten, denn er war der erste Schüler, in dessen Adern kein bellandrisches Blut floss. Als Außenseiter war er der Geringschätzung der Burgdraden ausgesetzt Die Draden! Renaiya regte sich immer noch über sie auf, obwohl sie schon seit ihrem sechzehnten Lebensjahr, seit dreißig Jahren, in der Burg lebte. Die Oberdradin Hester hatte sich strikt dagegen ausgesprochen, Dorjan als Schüler aufzunehmen. Renaiya war davon überzeugt, dass sie es verhindert hätte, hätte sie eine entsprechende Bestimmung dazu gefunden. Die Aufnahme von Schülern lag jedoch ganz in den Händen der Ellowen und diese hatten auf ihrem Standpunkt beharrt - die Burg brauchte neue Schüler, auch wenn sie nicht aus Bellandra stammten.
    Renaiya beruhigte sich und dachte an die Worte ihrer Lehrerin, Ellowen Tays. „Die Draden tragen für uns die Last der Welt, damit wir frei sind zu heilen." So war es und so würde es immer sein.
    Sie sprach das Gebet der Seelenschauer. Befreie mich von allem Falsch, und lass mich die Wahrheit schauen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Dorjan: tiefblaue Augen, schlaksige Gestalt, langgliedrige Hände und Füße. Vor einem Monat erst war er sechzehn geworden und schon groß wie ein Mann. Würde er noch wachsen? Renaiya ließ sein äußeres Erscheinungsbild aus ihrem Bewusstsein schwinden. Sie schloss die Augen und

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