Die Voegel der Finsternis
Trottel zu spielen war sein bester Schutz — und schnelle Fäuste, wenn seine Maskerade einmal nichts half. Maeve und Devin hasteten herbei. Maeves Gesicht war verschmiert und ihr Hemd sah noch zerlumpter aus als zuvor. Devin sah nicht weniger schmutzig aus. „Warum hat der Soldat dich angeschrien? Warum hat er dich niedergeschlagen?", fragte sie. „Ich war ihm nicht schnell genug." „Und warum warst du so lahm?", fragte Devin unschuldig. Jasper legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. „Weil ein Trottel nicht schlau genug ist, zwei Ausreißern zu helfen."
„Danke", sagte Maeve, „vielen Dank." „Steigt ein", sagte Jasper, „wir müssen weiter, ins Hinterland, und überlegen, was wir tun sollen." Ein Fetzen von Maeves Hemd verfing sich im Türschlag. „Maeve, kannst du nähen?", fragte Jasper. „Ein bisschen. Meine Mutter hat es mir beigebracht. Sie hat mir auch Nadeln gegeben - sie liegen in meinem Tuch."
Jasper kletterte auf den Kutschkasten und überlegte, wo er Stoff herbekommen konnte. Er hatte noch genug Besaets in seinem Geldbeutel.
Nachdem sie abseits der Straße einen Lagerplatz gefunden hatten, zog Jasper zu Fuß los, um im nächsten Dorf Stoff und Faden einzukaufen. Zwei Bahnen Stoff wollte er kaufen, einen ungefärbten und einen blassgelben, die gängigsten Farben in Sliviia. Mit der entsprechenden Kleidung würden sie es vielleicht bis Mantedi schaffen. Er könnte bei Maeve und Devin bleiben, bis sie ein Schiff nach Glavenrell gefunden hätten. Dann könnte er sich innerhalb der Stadtmauern als Kutscher niederlassen. Mantedi, der größte Hafen der Welt, war bekanntlich sehr reich. Dort lebten bestimmt viele vermögende Herren.
Jasper ging mit dem Stoff bis zum Dorfende und schlug von dort einen Bogen zum Wald zurück. Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, es war so dunkel, dass er nur noch Schatten sah. Maeve und Devin mussten ganz in der Nähe sein. Als er sie am Nachmittag allein gelassen hatte, wollte Maeve in dem Bach baden, der in der Nähe ihres Lagerplatzes vorbeifloss. Sie war Schmutz nicht gewöhnt.
Er konnte sich nicht erklären, warum das Flüstern und Rascheln der Dunkelheit ihn so nervös machten. Er war schon unzählige Male nachts im Freien gewesen, aber diesmal zuckte er sogar zusammen, wenn unter seinen Füßen ein dürrer Zweig knackte. Er überlegte, ob er rufen sollte. Sei kein Narr. Dann sah er plötzlich einen goldenen Lichtschein. Merkwürdig, ein solches Licht kannte er nur von Sonnenuntergängen, aber niemals um diese Zeit.
Jasper?" Maeves Stimme. Wie schön sie klang — wie Musik. Dann stand sie neben ihm. Es sah aus, als käme das goldene Licht von dem Stein, den sie um den Hals trug.
Jasper berührte sie am Arm, nur eine kurze Berührung. „Wie kannst du den Stein so zum Leuchten bringen?" Er zeigte auf ihre Brust „Was meinst du?"
Jasper blinzelte. Das Licht war verschwunden. Der Stein sah wieder ganz gewöhnlich aus, ein einfacher Stein an einem Stofffetzen. Aber Jasper war sich sicher, das Licht
gesehen zu haben. „Was ist das für ein Stein? Woher hast du ihn?"
„Nichts Besonderes. Ein Erinnerungsstück von meiner Mutter." Der Mond brach aus den Wolken hervor und warf sein fahles Licht über den Lagerplatz. „Das ist nicht nur ein Erinnerungsstück. Der Stein hat die Schatten verscheucht."
Sie schwieg, und Jasper wusste nicht, was er von diesen merkwürdigen Vorkommnissen halten sollte. Die vergangenen Tage hatten sein Leben vollständig verändert, er tat Dinge, die er lieber nicht tun sollte, und sah Dinge, von denen er nie geglaubt hätte, sie sehen zu können. Für dieses Mädchen und den Jungen, die er erst zwei Nächte zuvor getroffen hatte, setzte er seine Freiheit aufs Spiel. Und jetzt ließ er sich von einfachen Schatten erschrecken und sah einen schlichten Stein leuchten.
„Wäre es dir lieber, du hättest uns nie getroffen, Jasper?" Maeve stand da wie eine Traumgestalt, eine Decke lag um ihre Schultern, der Stein baumelte an ihrem Hals. Konnte sie seine Gedanken lesen? Jasper, der die Luft angehalten hatte, atmete aus. „Wirst du mir von dem Stein erzählen?", fragte er statt zu antworten.
„Gib mir deine Hand", sagte sie. Er gehorchte und spürte ihre glatte, kühle Haut. Sie schloss ihre Augen wie schon einmal, als er hinter ihr hergerannt war. Diesmal aber dauerte es länger, bis sie
seine Hand wieder losließ. „Er wird Traumwenstein genannt", sagte sie. „Vor langer Zeit gehörte er meinem Vater und seiner
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