Die Voegel der Finsternis
getappt. Jetzt würde ihr absurder Anspruch, die Große Seherin zu sein, entlarvt werden. Sämtliche bellandrischen Seher von Rang würden Zeugen ihrer Niederlage werden. Auf diesen Augenblick hatte er seit Jahren gewartet.
Rascide wusste, dass viele der Seher sich von Königin Torina eine Aufklärung ihrer misslichen Lage erhofften, denn am Nachmittag des vorigen Tages hatten sie alle plötzlich ihre seherischen Fähigkeiten verloren. Manche sahen nur noch schemenhafte Bilder, die sie nicht entziffern konnten. Auch Rascides Seherkraft hatte abgenommen, aber er konnte immer noch sehen. Oh ja, er konnte noch sehen und die anderen wussten das. Wenn diese dahergelaufene Hochstaplerin jetzt keine Visionen hatte, wäre sie gezwungen, Marias Kristall an ihn weiterzugeben. Selbst ihr Gemahl, König Landen, den sie irgendwie verhext hatte, würde das Gesetz nicht außer Kraft setzen können.
Als die Königin die schimmernde Zauberkugel von Bellandra hervorholte, konnte Rascide kaum seine Wut zügeln, denn er, der Oberste Seher des Reiches, hatte diesen bedeutenden Kristall noch nie in Händen gehalten. Schamlos, ohne die beschwörenden Formeln zu sprechen oder zu warten, bis die Seher ihre Blicke gesenkt hatten, starrte die Königin in die Kugel. Rascide blickte nicht zu Boden. Warum auch? Er schuldete ihr keinen Respekt.
Sie versank in eine Stille, die einer viel versprechenden Novizin Ehre gemacht hätte. Rascide bemerkte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Ihre schlanken Hände krampften sich um den Kristall. „Torina." Das war der König. „Was siehst du?" Die Königin sah zu den Sehern. „Viele von Euch können nicht mehr sehen, nicht wahr? Graue Nebel verdunkeln eure Visionen?"
Rascide runzelte die Stirn. Hatte sie jemand verraten und der Königin eine Botschaft geschickt?" Chandra verneigte sich. „Ja, meine Königin. Wir wissen nicht, was die Ursache ist."
Die Königin richtete ihre Worte an Chandra. „Was wisst Ihr über den Schattenkönig?"
Irgendjemand muss ihr alles verraten haben, dachte Rascide sich mühsam beherrschend, während Chandra der Königin antwortete.
„Ich kann nur wiedergeben, was ich gelernt habe", erklärte Chandra. „Der Schattenkönig lebt in einer uns fremden Welt, strebt aber nach der Herrschaft über unser aller Seelen. Hat er sich eine Seele unterworfen, verliert die betreffende Person ihre Fähigkeit zur Liebe und erliegt der Habgier und der Lüge. Da der Schattenkönig unsere Welt selbst nicht betreten kann, muss er sich auf Abhängige stützen, die hier sein böses Werk verbreiten."
Chandra ist wahrlich eine begnadete Schülerin, dachte Rascide. Ich hätte den Schattenkönig nicht besser erklären können.
Die rothaarige Königin wandte sich nun an ihren Gemahl. „Es ist so, wie sie sagt. Dieser Schattenkönig ist seit Jahrhunderten daran gehindert worden, persönlich in unsere Welt einzudringen."
Die Miene des Königs erinnerte Rascide daran, dass der friedliebende Landen auch ein berühmter Krieger war, der dafür gesorgt hatte, dass die Menschen in Bellandra in der Kunst des Krieges ausgebildet wurden. „Gehindert?"
„Es gibt eine besondere Grenze, die eine Art Schutzschild um unsere Welt bildet und ihn daran hindert, hier einzudringen." Torina unterbrach sich, dann fuhr sie fort: „Diese Grenze ist aus dem Widerhall aller lebenden Seelen gemacht und wird von den Ellowen in der Burg der Heiler im Gleichgewicht gehalten." Sie und der König sahen sich an und Rascide meinte, stumme Worte zwischen den beiden hin- und herfliegen zu sehen. Beide sahen außerordentlich besorgt aus. „Ein Gebäude der Burg ist dieser Silbergrenze gewidmet. Es schützt uns alle vor dem Schattenkönig. Er kann unsere körperliche Welt nicht betreten, solange diese Grenze intakt ist", sprach die Königin weiter.
„Und nun?", fragte der König.
„Auf irgendeine Weise gewinnt er jetzt Macht über diese Grenze. Die Schwächung der Grenze ist der Grund, warum die Gesichte der Seher verdunkelt sind." „Und wenn die Grenze überschritten wird, was dann?", fragte König Landen besorgt.
Die Königin zitterte. „Wenn diese Grenze fällt, werden wir unsere Erde nicht wiedererkennen - das Kernholz in den Bäumen wird grau und brüchig werden .... das Blut in den Herzen der Menschen wird erkalten und die Seelen verkümmern ..." Torinas Mund zuckte, als müsste sie Entsetzensschreie unterdrücken. „Der Schattenkönig wird siegen."
„Wie geht die Schwächung der Grenze vor sich?", bohrte
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