Die Vogelfrau - Roman
quadratische Hand auf den Ärmel. Die Haut über den Fingerknöcheln war aufgescheuert und wund, wie von zu häufigem Händewaschen oder als ob er mit der Faust gegen eine Wand geschlagen hätte.
»Sie haben ja recht, aber da soll man sich nicht aufregen. Ich mache das jetzt schon seit drei Wochen mit.« Zumkeller nahm einen großen Schluck Wasser. »Bitte, bedienen Sie sich.«
Der Kommissar fühlte sich wie der passive Zuschauer eines skurrilen Theaterstückes. Ging es hier immer so zu? Arbeiteten die hier überhaupt? Als könnte er seine Gedanken lesen, wandte sich Zumkeller ihm zu.
»Hoffentlich halten Sie uns nicht für verrückt, Herr Kommissar. Aber seit meine Sekretärin zur Kur ist, läuft hier gar nichts mehr. Eigentlich haben wir jetzt sogar eine eher ruhige Zeit. Keine Tötungsdelikte, lediglich ein paar Verkehrsunfälle und zwei unkomplizierte Suizide – aber trotzdem kommen wir einfach nicht vorwärts. Es sollten längst überfällige Berichte geschrieben werden und im Archiv warten Aktengebirge darauf, endlich eingeordnet zu werden. Ach, was erzähle ich Ihnen da von meinen Sorgen.«
Bloch lächelte verbindlich. »Ich kenne das auch, Herr Professor Zumkeller. Man rackert sich ab und tritt trotzdem auf der Stelle, ja, das kenne ich. Können wir vielleicht trotzdem wieder zu unserem Fall ... Ich wollte wenn möglich vor dem Abendverkehr wieder ... Sie verstehen?«
»Vollkommen. Ich verstehe Sie vollkommen. Wo sollen wir anfangen?«
»Bei der Verbindung zwischen den Instituten. Sie erwähnten, dass es diese Art von Arbeitsteilung schon zu Zeiten Ihres Vorgängers gab?«
»Genau. Da kann Ihnen Binder sicher noch Genaueres berichten. Der hat das ja alles noch mitgemacht. Nicht wahr, Binder?«
Der Sektionsgehilfe rutschte auf die Kante des mit einem bunten Stoff bezogenen Stuhls, der daraufhin vernehmlich ächzte. Die rot gescheuerten, quadratischen Hände lagen auf seinen Knien.
»Wir haben schon bei mehreren archäologischen Projekten Hilfestellung geleistet«, begann er. »Die Aufträge aus Konstanz sind bei unseren Assistenten und Oberärzten sehr beliebt. Sie haben so etwas – Exotisches.«
»Können Sie sich noch an konkrete Projekte erinnern, Herr Binder?«
»Da sind einige. Zum Beispiel Mitte der 70er-Jahre bekamen wir mal einen Schädel rein mit der Frage der Todesart. Im Schädel klaffte ein großes Loch und die Archäologen nahmen an, dass es sich um eine Kampfverletzung handelte. Unsere Fachleute fanden aber heraus, dass es eine regelrechte Operation gewesen ist, die der arme Kerl über sich ergehen lassen musste. Dieser Mensch hatte die Operation wohl sogar um einige Jahre überlebt und war dann an etwas ganz anderem gestorben.
Wir bekommen auch immer wieder mal Skelettfragmente rein mit der Fragestellung, ob es sich um Frauen- oder Männerknochen handelt. Das ist bei uns sozusagen schon Routine.«
Der Kommissar kannte die Knochen, von denen Binder sprach. Sie befanden sich in den Vitrinen der Totenkammer des Archäologischen Museums.
»Aber eine Mumie hatten Sie wahrscheinlich noch nie?«
Binder und Zumkeller wechselten einen Blick.
»Nur zu, Binder. Nur zu«, ermunterte ihn sein Vorgesetzter.
»Doch, Herr Kommissar, man hält es kaum für möglich in der biederen Schweiz, aber eine Mumie hatten wir auch schon mal. Das war ...« Er überlegte.
»Das war 1994«, warf Zumkeller ein. »Ich erinnere mich genau. Das war nämlich das Jahr, als ich die Leitung des Institutes übernommen habe. Damals flogen zwei unserer Spezialisten nach Sibirien, um Untersuchungen an einer über 2000 Jahre alten Mumie vorzunehmen, die im Permafrostboden des Altai-Gebirges gefunden worden war. Wir haben also Erfahrungen mit Mumien. Und genau deswegen wurden wir auch in diesem Fall um Mithilfe gebeten.«
Binder sah seinen Chef an.
Alles klang plausibel.
»Professor Zumkeller, mit welcher Fragestellung kam die Konstanzer Mumie denn zu Ihnen?«
»Ja, wissen Sie«, Zumkeller klapperte spielerisch mit dem Löffel auf der Untertasse herum. Sein Kaffee war kalt geworden und hatte eine Art Ölfilm auf der Oberfläche bekommen. »Vordringlich ging es um die Altersbestimmung und die kulturelle Zuordnung. Handelt es sich um einen kaukasischeuropäischen Typus oder stammt sie aus einem anderen Umfeld? Vergessen Sie nicht, die spärlichen Grabbeigaben deuten auf eine Verbindung zur indianischen Kultur hin, wobei völlig unklar ist, was ein Indianerstamm am Bodensee zu suchen hatte. Dann stellt sich natürlich
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