Die Vogelfrau - Roman
auch die Frage der Todesart. Ja, durchaus, auch diese Frage stellt sich.« Wieder klapperte der Löffel. Es entstand fast so etwas wie eine kleine Melodie.
Die Uhr an Blochs Handgelenk tickte überlaut. Er hatte vermutlich nicht die geringste Chance, dem abendlichen Verkehrschaos zu entkommen. »Sind Sie denn schon zu irgendwelchen aussagekräftigen Ergebnissen gekommen?«
»Das ist natürlich eine überaus heikle Aufgabenstellung. Wir dürfen auf gar keinen Fall die Mumie bei unseren Untersuchungen beschädigen. Gleichzeitig müssen wir DNS gewinnen und chemisch-toxikologische Untersuchungen durchführen, was nicht ohne ein Minimum an biologischem Material möglich ist. Um es kurz zu machen ...«
Kommissar Bloch ersparte ihm die Mühe einer ebenso weitschweifigen Zusammenfassung und resümierte: »Sie haben also nur vorläufige Ergebnisse.«
»Exakt.« Ein strahlendes Lächeln. War das Erleichterung? Das Lächeln erlosch so schnell, wie es aufgeflammt war. »Exakt, Herr Kommissar. Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde.«
»Dann brauche ich eben genau diese vorläufigen Ergebnisse, Herr Professor Zumkeller. Wenn Sie bitte so freundlich wären.«
Zumkeller erhob sich langsam und und drehte seine hagere Gestalt dem Schreibtisch zu. Dieser hatte eine Glasplatte, auf der man sicher jedes Staubkorn zählen konnte. Mit sicherem Griff hob er eine rote Mappe hoch. ›AN-2-2005‹ stand in großen Lettern darauf. »Ein internes Kürzel«, erklärte Zumkeller. »›AN‹ bedeutet Archäologische Nummer. ›LS‹ steht zum Beispiel für Leichensache und ›OD‹ für Obduktion. In diesem Jahr ist es bereits der zweite archäologische Fall, den wir bearbeiten, deshalb die Nummer zwei im Kürzel. Der erste Fall waren diese fünf Hexenschädel, die wir unter einer gemeinsamen Kennnummer subsummiert haben. Die Schädel stammten ja alle von derselben Ausgrabungsstelle. Lassen Sie mich mal sehen«, er blätterte in der Mappe. »Hier. Es dürfte sich um die Mumie einer jungen Frau handeln. Das Röntgenbild der langen Röhrenknochen lässt den Schluss zu, dass sie zwischen 18 und 25 Jahre alt geworden ist. Die Liegezeit hingegen ist schwieriger einzugrenzen. Es dürfte sich nach vorläufiger grober Schätzung um mindestens 100 Jahre handeln; wahrscheinlich ist die Mumie sogar wesentlich älter. Die Kohlenstoffdatierung der Lederhäute, in die die Mumie eingewickelt war, steht noch aus.«
»Die Todesart ...« Die Stimme des Kommissars war von einer fast übermenschlichen Geduld.
»Schwer zu sagen. Wir haben noch keine Leichenöffnung vorgenommen. Wir wollen die Mumie nicht zerstören. Auffällig ist jedenfalls die starke Rückbildung der Muskulatur an den Extremitäten und dass offensichtlich an den typischen Stellen, also an der Hüfte, am Bauch und im Wangenbereich, kaum noch Speicherfett vorhanden ist. Wir sind uns noch nicht einig, ob dies eine Folge der Mumifizierung ist oder ob die Frau an einer auszehrenden Krankheit gelitten hat.«
»An was denken Sie, Herr Professor?«
»Tuberkulose. Ich denke zum Beispiel an die Tuberkulose. Früher nannte man diese Krankheit auch Schwindsucht, weil die Menschen regelrecht dahin schwanden. Aber das ist nur so eine Theorie. Wir haben die Mumie, wie gesagt, geröntgt und konnten auf diese Weise gröbere Knochenverletzungen ausschließen. Es sind keinerlei äußere Verletzungen sichtbar und interessanterweise auch keine postmortalen artifiziellen Veränderungen.«
»Was heißt das auf Deutsch?« Bloch schrieb eifrig mit.
»Das heißt zum einen, dass kein Tierfraß vorhanden ist, zum anderen – und das erscheint mir fast noch wichtiger – dass die Tote nicht ausgeweidet wurde, um sie zu konservieren.«
Blochs Stift machte eine Pause.
Ausgeweidet.
Er trank einen Schluck Wasser.
»Ist das denn wichtig, Herr Professor?«
»Das will ich aber meinen. Denken Sie nur an die alten Ägypter. Die entfernten alle inneren Organe und badeten den Leichnam dann förmlich in Chemikalien, um ihn zu konservieren. Auch die eben erwähnte Mumie aus Sibirien war komplett ausgestopft, wenn Sie mir diesen Ausdruck erlauben. Interessanterweise waren unsere sämtlichen Untersuchungen auf Chemikalien komplett negativ. Sie war sozusagen ... Wie soll ich es ausdrücken? Sie war total – sauber. Wir können also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch eine Vergiftung als Todesursache ausschließen. Am wahrscheinlichsten erscheint uns, dass die Tote längere Zeit an einem Ort aufbewahrt wurde,
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